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Xaver

Xaver sitzt in seiner kleinen Schrebergartenlaube in Schwerte, es ist August, 32 Grad und das Radio läuft. Gerade spielen sie „Griechischer Wein ist so wie das Blut der Erde“. Xaver muss an seinen letzten Griechenland-Urlaub denken, genauer gesagt an den Wein, den er da abends in der Taverna getrunken hat. Also wenn dieses Traubenerzeugnis das Blut der Erde war, dann leidet sie eher an Diabetes, als an der Klimaerwärmung, das steht aber fest.

Xaver sollte eigentlich Peter Johann Sewczinski heißen, aber als seine Eltern ihn zum ersten Mal sahen, musste definitiv ein Name mit X her. Xaver hatte nämlich nicht nur X-Beine, sondern auch die besonders seltenen X-Arme. (Man könnte sagen, ihm machte keiner ein X für ein O vor) Das sah echt kurios aus und hatte den Nachtteil, dass er durch Dauerstellung der Arme, die sich ja immer gen Himmel streckten, nicht komplett in den Babywagen passt und seine Beine so immer herausragten.

Auch krabbeln oder laufen war nicht möglich, weshalb seine Eltern eine Sprossenwand vor den bodentiefen Wohnzimmerfenstern befestigten. Das ermöglichte dem kleinen Racker, sich hinaufzuhangeln und dem Treiben vor dem Haus etwas beizuwohnen. Einfach mal Sozialkontakte sammeln, denn wenn die Außenweltler ihn registrierten, wurden sie zu Gruß-Uschi, Winke-Udo und Zwicker-Dieter. Das zauberte ihm ein Lächeln ins Gesicht und blaue Flecken an den Körper, wenn er mal wieder versuchte, einfach auch freundlich zu winken und im nächsten Moment den Halt verlor und rücklings auf die Steinfliesen polterte.

Nach der operativen Anpassung im Alter von 2 Jahren hatte er die Arme zwar wie jedes andere Kind angeordnet, aber die Feinmotorik war einfach nicht so schnell zu erlernen. Das machte es natürlich schwierig, mit kleinen Spielsachen umzugehen, was ihn sozusagen zu einem Legostheniker machte, denn mehr als Mauer kriegte der kleine Xaver nicht hin. Die Kreativität war da, aber die Umsetzung scheiterte schon bei Holzklötzen, an ein Kartenhaus mit Spielkarten war überhaupt nicht zu denken und sorgte schnell für Frust und auf dem Boden verteilte Kartenspiele.

In der Schule war er sehr unauffällig, aber man merkte, dass ihm französisch gut gefiel, zuerst die Sprache, das andere kam erst nach der Pubertät dazu. Seine Eltern förderten das fremdsprachlich durch ein paar Frankreich-Urlaube und gaben ihm so ein gutes Rüstzeug mit, das andere erledigte seit dem 18. Lebensjahr Monika, die immer noch an seiner Seite ist, mittlerweile 50 Jahre, 3 Monate und 4 Tage. Monika ist eine Frau mit Klasse, denn sie ist Lehrerin an einer Realschule und wenn der Schulleiter verhindert ist, auch manchmal rektal unterwegs.

Schon früh freundete Xaver sich mit französischen Jungdesignern an und machte seine eigenen Boutique-Kette auf. „Xaver Bien“ hatte 16 Filialen und war immer am Puls der Zeit. Selbst in Paris aus der Champs Élysée war er vertreten, auch wenn er das Geschäft nur hatte, damit er mal mit seinem Freund Karl in Ruhe und ungestört eine Coke Light trinken konnte. Verkauft hat er da nie was, denn er gönnte sich den Spaß, im Schaufenster nur Jogginghose auszustellen und die Türen geschlossen zu halten.

Mittlerweile hat er das Unternehmen an einen Guido verkauft, der wohl im Fernsehen aktiv ist. Genau weiß er das nicht, vielleicht war es auch ein Harald, das hat Monika alles geregelt. Aus deutschen Modeschöpfern hat er sich nie was gemacht, daher ist ihm der Name auch nie zu Ohren gekommen. Zur Unterzeichnung der Verträge kam das tapsige Schneiderlein mit einem Kleinbus, der mit Kronen verziert schien. War er jetzt schwarz oder rosa? Er hat es vergessen, verstopft ja nur das Gehirn.

Seit 5 Jahren besitzt und führt er jetzt die französische Brasserie „Xaver Vivre“, die sich in der alten Schrebergartengaststätte befindet. Auf der Speisekarte hat er beispielsweise die kleine Käseplatte „Pair Bries“, die 2 verschiedene Weichkäse, Weintrauben und etwas Brot beinhaltet. Aber auch eine kleine Reminiszenz an seine Heimatstadt Köln findet sich auf der Karte, nämlich das „Filet Ming Jung“, das aus dem Fleisch eines Ziegenbocks besteht. Oder auch „Tarte Ta Ta Tatin, wobei es sich um einen mit Äpfeln aus dem Kleingarten hergestellten Kuchen handelt, der aber nicht einfach nur serviert wird wie alle Speise. Nein, hierbei setzt sich Xaver ans Piano und spielt den Anfang von Beethovens 5. Sinfonie. Das ist das Einzige, was der Tastenwemser durch die Grobmotorik auf dem Holzmöbel mit Tasten spielen kann, das aber laut und zu jedem verdammten Stück Apfelkuchen. Das war eine Idee seines Kochs Jean-Luc, der eigentlich Jens Lukas heißt und aus Dessau stammt.

Seine Spezialitäten ist aber definitiv der Pernod Grigio, ein Mischgetränk, das sich Xaver selber ausgedacht hat. Hierbei mischt man den hauseigenen Grauburgunder „Mad Mosel“, der extra für ihn produziert wird, mit einem Schuss Pernod und verziert ihn mit einer Limettenscheibe. Der Einfall kam ihm, als er in einem Straßencafé in Duisburg die Bestellung „Einen Magallabecher und einen Lacka Matschito bitte“ hörte. Er witzelte mit Monika etwas rum und zack, geboren war der Pernod Grigio.

Das Leben ist schön, der Lebensabend noch schöner. Erst einmal eine Runde schlafen und dann die Hecke schneiden. Jean-Luc macht das schon, zur Not läuft Beethoven heute mal vom Band.

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