„Bürgeraufstand in Waterratt“ war in der Lokalzeitung am Niederrhein zu lesen. Die Stadt will ein altes Hallenbad abreißen und durch ein Schwimmzentrum ersetzen. Eigentlich eine tolle Sache, moderne Trainingsmöglichkeiten für Schulen und Vereine zu schaffen, aber da haben sie die Rechnung ohne Jürgen Schlomski (69) Falko Grumpel (71) und Lale Grafenfels (74) gemacht. Die drei Rentner, deren Vorstellungen und Ideale noch aus der Fliesentisch-Ära stammen, stemmen sich mit aller Kraft gegen den Neubau. Sie können auch das Motto „Nicht die Asche bewahren, sondern Glut weitergeben“ von Oberbürgermeisterin Lilo Koperke nicht nachvollziehen.
Zu allem Übel liegt das Schwimmbad auch noch im Stadtteil Nawenliecke, der Ende der 70er trotz Protest der Einwohner mit Waterratt zusammengeschlossen wurde. „Zusammengeschlossen? Eine Annexion erster Kajüte war das, alles wurde mit Waterratt überpinselt, überklebt, ja einfach ungeschehen gemacht! Sie haben uns alles genommen, den Namen, die Identität, die Würde! Und jetzt auch noch das Schwimmbad, in dem wir unser Seepferdchen gemacht haben.“ äußert sich die Gruppe um Schlomski, alles geborene Nawenlieckern, die auch als solche sterben wollten. Sie waren Stammgäste in „ihrem“ Hallenbad und konnten auch früher einer „Freibadpommes“ nichts abgewinnen, die es im Freibad in Waterratt gab. Ein Nawenliecker ging halt ins Hallenbad, bei -10, bei 18 und auch bei 34 Grad. Schwimmpatriotismus pur, der seit den Abrissplänen in die Gründung eines Bürgervereins mündete, eine Art in der Vergangenheit hängengebliebene Chlor-Guerilla.
Nur einmal war Jürgen im Freibad von Waterratt. Er hatte sich einen derben, beidseitigen Fußpilz eingefangen, der von der Größe her zwischen eigenem Namen oder eigener PLZ schwankte und stieg deshalb nachts über den Zaun, damit er 3 Stunden um Becken und durch Umkleiden laufen konnte, um danach noch den Fußteilen aller Ruheliegen die Sporen zu geben. Wie konnte man sich besser dafür rächen, dass Heimat nicht mehr Heimat ist und die Geburtsstadt nur noch ein Stadtteil, also den einen oder anderen Pilz auszugeben. „Nimm das Waterratt, nimm das!“ hallte es durch das Freibad. Fast wäre er von Willy Warneke, dem ersten Vorsitzenden des Schwimmvereins „Die Tauchenichtse“ bei seiner Tat erwischt worden, der seit Jahren morgens immer die Kabinen kontrolliert und danach seine 2-3 Kilometer schwimmt. Aber Jürgen, immerhin dreifacher Deutscher Senioren-Meister in Bauchklatscher vom 1m-Brett, konnte sich durch einen beherzten Sprung über den Zaun in den Gartenteich, der sich auf dem Grundstück neben dem Schwimmbad befindet, der Enttarnung entziehen. Zum Glück war der Teichbesitzer gerade in der Reha und bekam vom unfreiwilligen Karpfenbesucher überhaupt nicht mit.
Seit 5 Jahren ist das Hallenbad nun schon geschlossen. Wegen altersbedingter Mängel sagt die Stadt, wegen Boshaftigkeit sagt die Bürgerbewegung. Abriss ist für sie keine Alternative, daher kämpft sie um den Erhalt und die Sanierung. Und das mit allen Mitteln, auch wenn es bisher nicht von Erfolg gekrönt ist. Vor vier Wochen hatten sie den Plan, die Abrissarbeiten zu stoppten, indem Lale und Falko sich mit dem Plakat „Bagger Go Home! Mit einem Arm kann man nicht schwimmen, was willst du hier?“ auf dem Dach des Schwimmbades platziert hatten. Leider war der Plan schon vorher durchgesickert, sodass der Bauunternehmer extra mit 3 japanischen Doppelarmbaggern angerückt war und die provokante Aussage einfach so verpuffte. Nur der geistesgewärtigen Reaktion von Jürgen Schlomski war es zu verdanken, dass an dem Tag nicht Abriss war, denn er hatte sich in Windeseile mit 17 Poolnudeln auf dem Dreimeterbrett festgebunden, was bei dem fehlenden Wasser im Becken schon waghalsig war. Die Bagger rückten daraufhin von ihrem Vorhaben ab, die Stadt aber nicht.
Aber die drei Revolutionäre hatten noch ein Ass im Ärmel, das sie nun ausspielten. Falko war bei der Durchsicht alter Dokumente im Stadtarchiv auf etwas gestoßen, das alles verändern könnte. In einem Unfallbericht aus dem Jahr 1971 war nämlich die Rede von einem Piet van der Keuken, der sich auf dem Weg zum Becken den Zeh an Bodenfliese geschnitten hatte. Drei Tage hatten Sie die Fliesen kontrolliert und waren fündig geworden. Eine bräunliche Verfärbung von 6 Fugen ließen sie untersuchen und bei einer Stelle war sich ein eingeschaltetes Fachinstitut sicher, dass es sich hier um eine Spur des niederländischen Freiheitskämpfers und Dichters handelte, der mit den größten Ehren, den „Klompen in Gold“ und dem „Diamantenen Käseroller“ ausgezeichnet wurde.
Hinzu kam noch, dass Falko in van der Keukens Buch „Raymond, der Schachbrettschleifer“ eine Stelle fand, in der beschrieben wurde, wie der Protagonist in einem Schwimmbad vom Bademeister dazu aufgefordert wurde, nicht mit seinen Holzschuhen zum Beckenrand zu gehen und sich dann beim Barfußlaufen eine Wunde am Zeh zuzog. Das konnte kein Zufall sein. Als er den anderen Beiden seinen Fund schilderte, war die Freude groß, denn damit waren sie für die nächste Gemeindesitzung gut aufgestellt. Auch die Van der Keuken-Stiftung, die das Erbe des Künstlers vertritt, haben sie nun auf ihrer Seite, denn die setzt sich nun auch dafür ein, diesen Fund für die Nachwelt zu erhalten. Na, das kann ja spannend werden.