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Slow Dating

Kennt ihr Slow Dating? Ich vor diesem ominösen Abend auch nicht. Im Gegensatz zu Speed Dating, bei dem man alle paar Minuten einen neuen Gesprächspartner bekommt, hat man bei unserem ominösen Slow Dating eine Gruppe von 30 Personen, die auf mehrere Lokalitäten aufgeteilt ist und sich immer wieder neu mischt, indem 5 Personen bleiben und 5 wechseln, wie ich an dem Abend lernte. Insgesamt sind es drei Runden, zuzüglich Schlussevent, an dem alle anwesend sein sollen, quasi „Resteflirten“. Der Algorithmus mischte und ich sag mal so, subjektiv betrachtet meinte er es nicht gut. Objektiv wahrscheinlich auch.

Ich hatte mich dazu breitschlagen lassen, Simone zu begleiten. Die Plätze waren gebucht und 3 Stunden später saßen wir vor einem Pils und einem leckeren Obstbrand. Mut antrinken in der Tristesse des Bahnhofsviertels, herrlich. Zwei Singles auf das Schlimmste vorbereitet. Dachten wir. Wir waren so naiv. Denn was uns erwartete, war ein Abend, der Stoff für eine Komödie bot. In Spielfilmlänge, wenn nicht sogar für einen Dreiteiler. Bei dem Plot wäre es aber schwer geworden, wirklich gute Schauspieler und zahlungskräftige Investoren zu begeistern, denn der Abend war einfach zu absurd.

Die anwesenden Personen der ersten Gruppe wirkten zum Tell schon aus dem Leben gefallen und hatten Tinder mittlerweile ein zweites Mal durchgespielt. Einer wirkte so verzweifelt, dass ich annahm, er hätte sich bestimmt schon seine Traumfrau für den Couchplatz und mehr aus Klemmbausteinen einer einschlägigen Marke gebaut, aus Hackfleisch modelliert und gegart oder aus einem Baumstamm mit der Kettensäge rausgearbeitet.

Ein anderer Teilnehmer, lange Haare und nur mäßig hergerichtet, hatte bei gepflegten 30 Grad sein Sakko an, das er wie eine Uniform trug. Komischer Kauz, etwas verpeilt, der auch mit Alkohol nicht locker wurde. Der hatte definitiv nicht nur einen Stock im Hintern, da war es schon eher ein ganzer Nadelwald. Stephan war sein Name, merkt euch den Namen, er wird noch wichtig.

Die Gespräche kamen nur langsam in Gang, waren aber auch nicht gerade ausbaufähig. Was den Abend rettete, war das Zauberwort „Margarita-Abend“. Es gab jede Margaritas für 5 Euro und da hatte man laut Karte einiges zu degustieren. Schöntrinken ließ sich die Runde definitiv nicht, aber versuchen sollte man es ja trotzdem. Erdbeere war schon mal lecker, mal sehen, was Mango kann.

Eine Frau, nennen wir sie mal Sandra, hatte es auf mich abgesehen und guckte mich ununterbrochen mit einem Blick an, wie es eine 5-jährige mit einem Hundewelpen tun würde. Bei meinem Anblick schoss ihr regelrecht die Milch ein und sie fand einfach alles, was ich erzählte, gut. Ich glaube, ich hätte ihr erzählen können, dass ich Kopfschlächter im Schlachthof wäre, sie hätte es gut gefunden. Man konnte den Herbst in ihren Augen sehen und ich wollte das Interesse nicht erwidern, was ich ihr unterschwellig mitteilte.

Nach einer Dreiviertelstunde hieß es Location wechseln, zum Glück nur 100 Meter weiter in eine verschlafene Bar, die auch froh sein konnte, dass die Single-Runde einkehrte, denn so machten Sie wenigstens etwas Umsatz. Die Hälfte der ersten Truppe kam mit und wurde um ein paar Leute ergänzt, die zuvor einer anderen Gruppe zugeteilt waren. Und ihr ahnt es sicher, Sandra war mit dabei und bekam vom Anschmachten schon einen Steifen Nacken.

Im idyllischen Biergarten angekommen, versuchte man dem Smalltalk zu entkommen, um mal Näheres zu erfahren. Aber nach 10 Minuten merkte ich, dass es wohl besser gewesen wäre, bei nebensächlichen Themen zu bleiben. Wir erfuhren die Lebensgeschichte von Yvonne einer 4-fachen Mutter, die mit ihrem Begleiter Sven da war. Ihre Geschichten waren so wirr, dass man nach ein paar Minuten nicht mehr wusste, ob ihr Begleiter nun ihr Bruder war, ihr Ex-Partner und Vater ihrer Kinder oder halt beides in einer Person. Skurril, aber unterhaltsam und mit den Likören, die neben den Bieren standen, sehr erträglich. Es wirkte ein bisschen wie ein nicht enden wollender Fiebertraum.

Nach 45 Minuten kam die Erlösung, es ging wieder zu Captain Tex-Mex, was sehr passend war, denn wir hatten schon etwas Schlagseite und es waren ja noch einige Varianten auf der Cocktailkarte, die probiert werden wollten. Hier wartete auch schon der nächste Kandidat, den man erwähnen sollte, war Sören. Testosteron-Bolzen durch und durch, mit tiefergelegtem Wagen und IQ, der keine Plattitüde ausließ und wohl dem Schlagerdasein frönte. Malle-Bräune war natürlich inklusive, wie auch sein kumpeliges Suchen nach Nähe. In seinen Adern floss kein Ballermann-Blut, nein es pulsierte. Auch hier bitte Namen merken.

Man könnte jetzt sagen, dass wir jetzt nicht ernsthafte bei der Sache waren, aber ehrlich gesagt hatte ich hier das Gefühl, dass Loriot, Monty Python und die Macher von „Verstehen Sie Spaß“ ein neues Sendekonzept testeten, um uns restlos fertig zu machen. Ich hatte schon einige verzweifelte Blicke von Simone wahrgenommen. „Zwei Doofe, ein Gedanke!“, wie man so schön sagt.

Aber Aufgeben zählt nicht, denn es wartete ja noch der große Showdown, das Abschlusstreffen. Das fand wieder nebenan statt, also zog die Karawane weiter, der Sultan hatte seinen Durst ja schon dank der Cocktailkarte gelöscht.

Angekommen waren wir alle verwundet, dass aus den wohl drei ehemaligen Gruppen ein kleines Bündel Menschen übrig war. Neben dem Pastor mit dem Käseleib, dem professionellen Kippenstopfer, der Frau mit dem 3-Sekt-Lächeln, dem Ich frage für einen Freund-Typen, dem PC-Nerd, dem Tierfilmgucker und drei anderen unscheinbaren Personen, war nur noch die richtig schlecht gelaunte Bedienung vor Ort und ehrlich gesagt, hätten von ihrer Laune 10 Teens 2 Jahre lang pubertieren können. Sie hatte den Traum vom großen Umsatz nebst fürstlichem Trinkgeld an diesem Abend aufgegeben und setzte jetzt den Fokus auf einen frühen Feierabend. Also taten wir ihr den Gefallen und einigten uns mit Sören, Yvonne, Sven und Stephan auf eine persönliche Afterhour, bei dem Sören die After-Freakshow-Location aussuchte.

Es wurde ein bekannter Schlagerschuppen mit Druckbetankungspreisen und einer Lautstärke, die jegliche Kommunikation blockierte. Und hier kam Stephan wieder ins Spiel, denn in der Location zahlte man mit Coins, die man an einem Automaten erwerben konnte. Der Automat wechselte nicht, sodass man den kompletten Geldschein umgewechselt bekam. Das bedeutete dann in Stephans Fall 50 Coins für einen Laden, in dem er so falsch aufgehoben war, wie Sören es in einem Konzert der Philharmoniker gewesen wäre. Er kippte etwas unbeholfen seine Automatenausbeute in die Sakkotasche und begab sich auf die Tanzfläche.

Man merkte schnell, dass er am falschen Ort war und nach 15 Minuten auch zur falschen Zeit, denn völlig unvermittelt ging die Nebelmaschine an und Stephan bekam den Schwall mitten ins Gesicht. Das war schon ein kurioser Anblick, wenn man sah, wie der Druck den Kopf nach hinten wirbelten und Stephan krampfhaft, aber ohne großen Erfolg dagegen ankämpfte. Resultat war ein zuckender Kopf, fliegende Haare und weit aufgerissene Augen, nicht gerade das, was den Mädels auf der Tanzfläche imponierte.

Ich unterhielt mich etwas mit der Barkraft, denn mein Platz war eher am Tresen als auf den Tischen und Bänken. Sabrina war hier nur, um ihr Monatsgehalt etwas aufzubessern. Dafür man sie sogar die Dirndl-Tragepflicht und die auch für sie schreckliche Musik in Kauf. Kaum zu glauben, dass ich an dem Abend doch noch einen normalen Menschen traf, mit dem man sich trotz Lautstärke besser unterhielt als mit den anderen Personen in stillem Ambiente. Der Glaube an die Menschheit war zurück, also verabschiede ich mich und fuhr allein nach Hause.

Mit dem guten Gefühl immer noch Single zu sein, kam ich dort an und ich wusste, dass man es auch viel schlimmer treffen könnte, quasi Learning by Doing. Jedem unglücklichen Single kann ich eine Veranstaltung dieser Art wärmstens empfehlen, denn etwaige Verzweiflung wird in Erleichterung umschlagen.

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