Martin sitzt im Polizeiwagen und wartet auf seinen Abtransport Richtung Verhör. Das hätte wohl niemand gedacht, dass es mit ihm mal so endet. Martin war in seinem Leben nur einmal mit der Polizei in Kontakt gekommen. 1997 hatte er ein Konzert des usbekischen Nasenflöten-Nationalorchesters in München besucht und es sich in der ersten Reihe bequem gemacht. Mit geschlossenen Augen lauschte er verträumt den Klängen dieser Nasenflötenvirtuosen, bis er durch einen Blockflötisten, der mit sich einer Mischung aus Freejazz und Raggaeton so laut und so stark in den Vordergrund spielte, regelrecht aus den Träumen gerissen wurde. Wild schnaubend vor Wut enterte Martin die Bühne, ging auf den Lochstangenbläser zu, nahm ihm das Werkzeug des Grauens aus der Hand und brach das Teilchen in zwei Teile. Sauberer Bruch würde er im OP sagen. Unter tosendem Applaus verließ Martin die Bühne, hatte er doch mit dieser Aktion der Mehrheit im Saal aus der Seele gesprochen. Dieser Umstand schützte ihn vor einer größeren Strafe. Für den Tatbestand der Sachbeschädigung würde er zu einer Geldstrafe von 300 Euro bestraft und musste eine CD vom Geschädigten kaufen, um seinen guten Willen zu zeigen.
Aber heute war er zu weit gegangen. Völlig übermüdet hatte er im OP gestanden und bei einer Operation so tief geschnitten, dass der OP-Tisch einen Kratzer hatte, Martin schlafend auf den Patienten fiel, seitlich an ihm herunterglitt und schnarchend auf dem Boden landete. Nur dem Eingreifen seines Assistenten war es zu verdanken, dass der Mann den Routineeingriff überlebte.
Müde wovon wird man sich jetzt denken? Ein Brummschädel wie nach 2 Stunden im Glockenturm des Kölner Doms, schlabberige Beinen wie feinster Vla aus Holland und Händen so schwer, als wäre an jedem Finger eine 5 Kilo Hantel mit Isolierband befestigt. Woher diese Müdigkeit, die Kraftlosigkeit und fehlende Konzentration? Naja, sagen wir mal so: Er hatte sich im Geradeaus verlaufen, sich zu sehr in etwas vertieft, den Ehrgeiz bedient, wie ein angebliches Wunderkind, das seinen Eltern gefallen und es sich selbst beweisen will. Ach fangen wir vorne an…
Alles begann mit einem Junggesellenabschied seines besten Freundes Holger. Bauchladen, Bier, Schnaps, Zigarren, Peepshow. Der Abend selbst lässt sich schwer rekonstruieren. Martin erinnert sich nur noch daran, dass er diese Melange der Düfte dieser Nacht nicht mehr ertragen konnte und seine Sache komplett in die Waschmaschine getan hat. Der Geruch von Erbrochenem, Nikotin und Alkohol in und an seinen Sachen lag auch mittags nach dem Aufstehen noch in der Luft. Die Platzwunde am Kopf hatte er sich wohl an der Waschmaschine geholt, denn dort war eine deutliche Blutspur zu sehen. Den Trockner konnte er nicht mehr benutzt haben, denn er hatte wohl versucht die Tür von der falschen Seite zuzutreten, da sie nämlich herausgerissen auf dem Boden lag, was auch erklärte, warum er von seiner Nachbarin Frau Schenke aus dem Schlaf gerissen wurde, da im ganzen Hausflur nasse und zum Teil blutverschmierte Kleidungsstücke verteilt waren. In den Wäschekeller hatten es nur seine Jeans, ein Socken und ein Stringtanga aus der Peepshow geschafft. Die Jeans übrigens nebst Smartphone, das den kompletten Waschgang nur vom Display her überstanden hatte. Da wurde Martin wohl zu Captain Elektroschrott, der ein 1000 Euro Smartphone in einen Centartikel-Taschenspiegel verwandelt hat.
So trat Martin den Weg zu einem Handyladen im Bahnhof an, denn sonntags hatte der werte Einzelhandel nicht geöffnet, er aber natürlich Rufbereitschaft. Wo ist der verkaufsoffene Sonntag, wenn man ihm mal braucht? Er erstand ein neues Smartphone, naja eher gebraucht, aber wirklich gut in Schuss. Nach dem Einlegen der SIM-Karte staunte er nicht schlecht, denn der Handyman hatte seine Arbeit schlichtweg nicht so ernst genommen und das Smartphone inklusive Daten und Telefonnummern verkauft. Und damit nahm das Unheil seinen Lauf.
Bei den Namen, die er da las, war er etwas verwirrt, vermutete dann aber eine Art Chiffrierung. Und so machte er sich daran, diese Rätsel aufzuklären. Ein Harold Chippendale war da zum Beispiel. Beim Anruf meldete sich sein Gegenüber mit einem „Hello Again“, womit dieser Kontakt schon einmal geklärt war. Der Vorbesitzer des Gerätes mochte wohl Wortspiele, da war Martin gut im Rennen. Beim Nächsten, nämlich Markus Meier Ostenwitten war ein Minzbonbon als Benutzerbild hinterlegt. Das wird doch wohl nicht der Marius sein? Ein Anruf genügte und die Stimme war unverkennbar, auch wenn er Martin zusammenmaulte, was ihm einfalle, ihn um 3 Uhr nachts anzurufen. Auf Martins Versuch „Könnten Sie vielleicht mal sexy singen für mich?“ wurde jäh mit einem Tuten in der Leitung reagiert. Martin wollte sich für die Dummheit entschuldigen, rief deshalb leider noch einmal an, was den Puls seines Gegenübers sichtlich in die Höhe trieb. Hannes Binder? Ist das nicht der Comedian, der damals im Pailletten-Oberteil Queensongs gesungen hat. Ein klärender Anruf brauchte die Bestätigung. Auf Martins „I‘m just a poor Boy“ folgte nur ein „Hömma, watt stimmt mit dir nich, du Schabonjek“. „Was hat der denn?“ dachte Martin. Recht hat er….
So ging es eine Woche lang, vor dem Dienst, nach dem Dienst. An Schlaf war nicht zu denken. Rätsel um Rätsel wurde gelöst. Die Eintragung Ich sag immer Dieter, auch wenn ich…, die mit einem Skorpion versehen war, war eine härtere Nuss, die löste Martin aber auch. Als er ihn anrief und ihn bat, ein paar Töne zu pfeifen, erhielt er eine Abfuhr. „Ich bin gerade in der Küche beschäftigt und kümmere mich um Poutine. Rufen sie gerne noch mal gegen 16 Uhr an.“ Da konnte Martin aber nicht, da hatte er eine Sondenoperation.
Eben diese Operation wurde ihm zum Verhängnis. 4 Tage lang ohne Schlaf, aber ein Stakkato an Promis, Stars und Sternchen am Telefon. Einige legten sofort auf, andere unterhielten sich mit ihm, sangen für ihn, wollten sogar Termine für Homestorys oder Interviews mit ihm ausmachen. Auch eindeutig zweideutige Angebote waren dabei inklusive Fotos, die weit über das hinausgingen, was man in der Presse von den Personen wahrnehmen konnte. Martins Verwunderung war zeitweise sehr groß, verstehen konnte er das alles aber nicht. Es ergab einfach keinen Sinn. Martin war zermürbt, geistig ausgelaugt, denn die Tage ohne Schlaf, aber mit einer Fastfood- und Energydrinkquote von 100 % hatten ihre Spuren hinterlassen. Alles weitere ist bekannt.
Nach seiner Verhaftung schrieb die überregionale Presse über den Fall. Das las Klatschreporter Willy Gonse und freute sich, denn es handelte sich um sein Telefon, das bei einem Kneipenbesuch nach einem Galadinner verschwand und so eingestellt war, dass alle Anrufe über seine eSim gingen und somit seine Nummer übertragen wurde. Er traute sich nicht, den Verlust anzuzeigen, da das seine sichere Kündigung gewesen wäre. Nun aber nahm er Kontakt zu Martin auf, zahlte ihm eine fürstliche Belohnung für Handy und Verschwiegenheit und kam mit einer Abmahnung davon.
Was ist von 18 Monaten Knastaufenthalt geblieben? Neben einer Handvoll Nüssen noch der Bestseller „Wenn dir gebratene Tauben in den Mund fliegen, bist du nicht im Wiener Wald, Johnny“, den er hinter Gittern über seine Telefonaktion geschrieben hat.
Folgendes Vorwort steuerte Klatschreporter Willy Gonse dazu, der sich selbst als Feierabendpoet und Reimemonster bezeichnet:
Das ist Martin mit den schweren Händen
viel früher sollte sein Skalpellschnitt enden
weiß nicht, ob Sie das lustig fänden
würde der Chirurg nicht vor der Leber wenden.