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Lokangebot

Heute ist ein besonderer Tag für Heidelinde. Sie hat sich in Schale geschmissen und ist voller Vorfreude. Die selbstgeschneiderte Uniform sitzt perfekt und das BfFD-Emblem glänzt in der Sonne. Mehr als 10 Jahre ist es jetzt schon her, dass sie im Rollschuh-Musical in Bochum Dietmar und seine Freunde kennengelernt hat. Sie hatte sich gewundert, dass alle in Uniformen erschienen waren, auf denen statt normaler Schulterstücke unterschiedliche Loks zu finden waren. Erst dachte Sie, sie hätte hier einen Musical-Fanclub vor sich, damit lag sie aber falsch. Hier handelte es sich um die Weihnachtsfeier der BfFD, also der Betriebsfahrt-Freunde Deutschland, die sich selber auch gerne als Gleisegreise bezeichnen, da man sich erst mit Renteneintritt bei ihnen anmelden kann.

Heidelinde ist Gynäkologin im Ruhestand, spielt seit Jahrzehnten den Bahnsimulator an ihrem PC und hat sich da schon ein gutes Imperium aufgebaut. In den Sommermonaten genoss sie bis zum Eintritt bei den Betriebsfahrt-Freunden die Fahrt auf ihrer LGB-Bahn, die quer durch ihren Garten führte. Also ein mittelmäßiges Leben. Einer ihrer Vorfahren war bei der Jungfernfahrt der Adler im Jahr 1835 mit in der Lok, was natürlich eine Verpflichtung darstellt, dem Bahnbetrieb zu frönen.

Daher war es schon ein schöner Zufall, dass sie nach dem Treffen mit Dietmar und Co. ein Lokangebot bekam, also die Möglichkeit eine ausrangierte und fahrtüchtige Lokomotive zu kaufen.

Aber was ist die BfFD überhaupt? Man könnte sagen, es ist eine Ansammlung von Misanthropen, die gerne unterwegs sind. Sie fahren mit eigenen Zügen durch die Gegend, die mit Betriebsfahrt ausgeschildert sind und das Geschehen bei der Deutschen Bahn ordentlich durcheinanderbringen. Meist auch der Grund für die immensen Verspätungen. Aber nicht bei den BfFDlern, sie fahren immer nach Plan, den sie laut Vorschriften und Gesetzen immer am Vorabend bei der Deutschen Bahn einreichen müssen. Eingereicht werden die Pläne von Vereinsgründer Dietmar Sonderberg, ehemaliger Lokführer bei der Deutschen Bahn, Ausbilder der BfFD-Mitglieder, Organisatorischer Leiter und 1. Vorsitzender.

Und Dietmar hat einiges zu beachten bei den Planungen der Fahrten seiner Freunde, denn neben Fahrten zum Wochenmarkt in der Nachbarstadt, regelmäßigen Arztbesuchen, Stammtischbesuchen und Betreuung und Schulweg der Enkelinnen und Enkel fällt so einiges an. Exemplarisch hier mal die Fahrten vom letzten Dienstag:

Fahrt von Gelsenkirchen nach Köln, um im Dom eine Kerze für den FC Schalke anzuzünden (Jochen)

Zweites Frühstück in Baden-Baden und kleine Runde im Kurpark, dann Rückfahrt nach Mainz (Günther)

Kleiner Trip aus Nürnberg zum Hofbräuhaus nach München auf ein Bier mit Schorsch (Heinz)

Freibad Pommes in Hamm und dann zurück nach Erfurt (Marcello)

Fahrt aus Hannover an die Nordsee, um eine Runde mit Bella und Bolle am Hundestrand zu drehen (Olga)

Ein kleiner Shoppingtrip nach Hamburg mit Zwischenstopp in Bremen und Rückfahrt nach Osnabrück (Gudrun und Ottmar)

Mittags gemütlich von Frankfurt in die Pfalz zum Saumagen-Essen und Auffüllen der Weinvorräte, die waren nämlich auf null (Waldemar)

Und heute die große Sternfahrt, denn Dietmar wird 75. Das wird natürlich gefeiert. Da kommen alle zusammen, da will jeder dabei sein. Aus ganz Deutschland fahren sie los und treffen sich dann bei Dietmar in Hamm. Da spielt dann sogar eine Kapelle, Petra singt bestimmt, ohne ein Ende zu finden, weil alle wieder „Hör nicht auf“ rufen werden. Sie legt sich nicht für jeden so ins Zeug, hat sogar mal andernorts ein Konzert abgebrochen, denn sie singt keine Lieder für böse Menschen. Früher mit 30 dachte Petra mittwochs immer schon „Wann ist wieder Samstag?“, denn samstags war Karaoke und Ladys-Cocktail-Night im Nebendorf. Da konnte man nach 7-8 Drinks auch dem schäbigsten Vogel in der Bar ein „Niemand ist schöner als du“ flüstern. Es war nicht alles schlecht, aber heutzutage ist es definitiv besser.

Bei Dietmar wird es sicherlich ein Bahnchaos geben, denn die 48 Loks müssen ja irgendwo geparkt werden. Heute fährt niemand nach Hause, denn die Bar ist reich gefüllt und Walter bringt seinen Schlafwagen (in dem wird heute übernachtet) und seinen historischen Speisewagen von 1955 mit, frisch restauriert und mit einem Hightech-Pizzaofen ausgestattet, den er extra aus Italien besorgt hat. Historie trifft Moderne, quasi ein Zwischending. Walter fuhr damals mal seine eigene Betriebsfahrt-Straßenbahn in Köln, bis ihm die Stadt zu klein wurde. Er verkaufte seine Straßenbahn und legte sich für das Geld eine Lok inklusive Schlafwagen und Speisewagen zu.

Das Catering übernimmt Gertrud, die damals ein Sternerestaurant hatte und dieses irgendwann verkaufte, um sich einen ausgedienten Linienbus zuzulegen, mit dem sie dann ihre Runden in Hamburg drehte. Irgendwann nervten Sie die Blicke der Leute, die an den Haltestellen standen und sich wunderten, dass sie niemand hereinlassen wollte, so dass sie den Bus gegen eine ausgediente Dampflok eintauschte. Das ist mittlerweile auch schon 8 Jahre her. Zusammen mit Heidelinde leitet sie die Frauengruppe im BfFD, die Tender Girls, denn zu zweit ist man nicht alleine.

Wenn ihr euch also demnächst mal über die Verspätungen bei der Bahn wundert, haltet mal Ausschau nach Dietmar und seinen Freunden. Gut zu erkennen an der „Betriebsfahrt“-Aufschrift und den Hupsignalen, die Lieder wie „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“, „Love me Tender“ oder „Der Zug hat keine Bremsen“ erklingen lassen. Da gucken alle dumm, aber who cares. Das Lachen kann man sich da im Lokführerhäuschen kaum verkneifen. Das Leben ist schön, in Hamm, auf Ameland, in Amerika, wo auch immer. In diesem Sinne, auf Dietmar, heute ist Geburtstag…

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