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Linsen

Holger war heute bei seinem ersten Poetry Slam und hatte die Startnummer 7 zugeteilt bekommen. Vier Wochen hatte er an seinem 5 Seiten langen Text gefeilt, als Titel 3 Teller Linsensuppe – Schmauchspuren im Sofa… gewählt. Jede Pointe wurde mehrfach im engsten Familienkreis getestet und jetzt musste er trotz steigender Nervosität noch 6 Anderen den Vortritt lassen. Bei der ersten Mitbewerberin rutschte Holger schon etwas das Herz in die Hose. Die zierliche Shandy hatte nämlich gefühlt 100 Kilo veganen Weltschmerz im Gepäck. Eine wahre Seelendusche kam da auf die Zuschauer zu, betreutes Slammen in Reimform. Keine leichte Kost, eher ein bitterer Lebensbewältigungsapparat von Captain Chicorée und seinen Salatkriegern.

Der Nächste war Lefty Left, ein im Körper eines Gangster-Rappers gefangener Germanistikstudent. Der in feinstem Designer-Zwirn gedresste Sohn des hiesigen Polizeichefs legt mit seinen Texten nach eigener Aussage immer das Springmesser an die Kehle der Gesellschaft, das ist „Yo, meine Art of Overliving, Bro“. Der Beitrag heute war die neue Entdeckung der Langsamkeit und bestand aus exakt 7 undeutlichen Worten, die wie durch Zauberhand fast zu einem zusammenflossen. Der Junge hatte nicht am Bubatz genascht, sondern einen ganzen Bubatzen durchgezogen, denn er schien sich in einer anderen Sphäre zu befinden und musste nach dem Vortrag von seiner Begleiterin auf den Sitzplatz geführt.

Nummer 3 fiel krankheitsbedingt aus, daher folgte bereits die Startnummer 4. Die 87-jährige Hönky wurde allerdings von der Bühne gebuht, weil sie Einleitung, Hauptteil und Schluss ihrer Geschichte durch ein musikalisches Beiwerk trennte, das sie auf einer Petersilienwurzel spielte. Diese hatte sie beim Vortragen der Einleitung mithilfe einer Nagelschere zu einer Querflöte umgearbeitet. „Schande, Schande“ schallte es Hönky entgegen, als sie unter Protest die Bühne verließ. Holger war es bis zu diesem Moment unbekannt, dass beim Poetry Slam weder Hilfsmittel, noch Verkleidungen erlaubt waren und zur Disqualifikation führten. Er war froh, dass er sich doch dagegen entschieden hatte, Campingkocher, Teller, Löffel und eine Dose Linsensuppe mit auf die Bühne zu nehmen.

Holger merkte, dass hier so wenig launige Unterhaltung angesagt war, wie beim Treffen eines Pelzträgers mit dem PETA-Vorsitzenden des Bereiches Castrop Mitte/Ost. Hätte er doch statt seiner klamaukigen Linsenstory lieber die Geschichte „Zander Strack“ vorbereitet, bei der Martin Strack, der Junior Chef des Hamburger Fischfachgeschäfts „Zander Strack“, durch seine neue Freundin Dora Deen Tierschutzaktivist wird und im Geschäft nur noch pflanzlich hergestellten Fischersatz verkauft, wie etwa Vlunder, Vorelle, Karpven und Thunvisch. Erst sollte die Geschichte in Anbetracht der Tatsache, dass Tiere ja auch Gefühle haben „Hai on Emotion“ heißen, was Holger aber wegen der Diskrepanz zwischen Alter des gemeinten Liedes und Alter seiner Zielgruppe wieder verwarf.

Nummer 5 war eine unscheinbare Gestalt mit einem noch unscheinbareren Text. Sie las Namen vor, die sie auf der Hohenzollernbrücke von den Liebesschlössern abgeschrieben hatte und kam dabei dem Nervenzusammenbruch immer näher. Geschlagene 10 Minuten las sie Namen vor, um dann mit dem Satz „Paare sind auch nur Menschen, die als Singles versagt haben, fick dich Dieter“ zu schließen. Langsam wurde Holger nervös, denn er wusste, das gleich nach einer halbstündigen Pause der Auftritt von Vroni Schabronnski auf dem Plan stand. Vroni hatte schon alles gewonnen, was man beim Poetry Slam gewinnen konnte, darunter sogar der Goldene Eugen, der Slamingway in Platin und auch den Wortbruch aus Gips, den wichtigsten Preis für einen Politiktext. Sie konnte auch schon 4-mal die handbemalte Taschentuchbox in Erlangen erringen und den Titel der besten Slammerin in St. Erringen erlangen. Sie war der Topstar und ihre Texte waren leicht, wie eine Tischdecke auf der Wäschespinne im Sommerwind, geschmackvoll wie frisch gehobelte Trüffel auf einer Pasta und gefühlvoll, wie ein Cellist bei Bachs Cellosuite Nr.1 in G-Dur.

Als sie in der Pause zur Toilette musste, nutzte Holger die Chance und tauschte ihren Text gegen seinen aus. Wenn Nadine das vor den ersten Worten auf der Bühne gemerkt hätte, wäre Holger sicher gesundheitlich nicht unbeschadet aus dem Saal gekommen. Aber das wäre immer noch das kleinere Übel gewesen, wie sich wenige Minuten später herausstellte. Denn Nadine kam zurück in den Saal, ging auf der Bühne und las. Professionell, aber reichlich verwundert, las sie Holgers Text. Sie beschrieb haarklein den Verzehr von 3 Tellern Linsensuppe. Sie überspielte ihre Irritation bis zu der Stelle, an der Holger die Folgen des Verzehrs beschrieb. Da waren dann Aussagen wie „Nahtoderfahrung des Partners durch leichtes Lupfen der Bettdecke“, „Schmauchspuren im Sofa und Ansenkungen von Polstern und Stuhlkissen, dass selbst der Rauchmelder erwägt, Alarm zu schlagen.“ Oder auch „eine Meldung in der Nina-Warnapp, die die Nachbarn dazu aufforderte, Fenster und Türen geschlossen zu halten.“

Im Moment, in dem sie „Nicht der Geruch, sondern das Tränen und Brennen der Augen, der sogenannte Pseudo-Pfefferspray-Effekt“ vorlas, rannen ihr dicke Tränen die Wange herunter, bei dem Gedanken, was sie hier gerade in der mit 300 voll besetzen Wörthersee-Halle zum Besten gab. Bei „menschliches Didgeridoo“ brach sie schluchzend und zitternd zusammen und schrie „Waaaaaruuuuum?“. Holger merkte in diesem Moment, was er angerichtet hatte, indem er ihr den Text über das „Suppenkoma der besonderen Art“ untergeschoben hatte. Damit hatte er wohl das Kunststück geschafft, mit einem Text zwei Karrieren zu beenden, wobei seine ja noch nicht einmal begonnen hatte. Das muss man erst einmal zustande bringen. Daher verließ er leise und unauffällig die Halle. Auf dem Nachhauseweg sah er auf seinem Smartphone die Kommentare der Lokalpresse:

„Veronika, die Flatulenz ist da – Karriere-Ende von Slammerstar Schabronnski?“. „

„Vroni, das war’s. Hättest du doch lieber die Bedienungsanleitung einer Heißluft-Fritteuse oder die chemische Zusammensetzung einer Teichfolienpflegepaste vorgelesen“

„Heiße Luft der besonderen Art. Das unwürdige Ende eines Textgenies.“

Ob sich Holger dauerhaft vor Vronis Wut retten kann, das muss nun die Zeit zeigen. Viel Glück Holger, du kannst es gebrauchen.

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