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Kaffeevolution

… zu Gast bei Dieter Andarr

Wenn Dieter Andarr durch seine Heimatstadt schlendert, ist er immer wieder davon angewidert, die Leute beim amerikanischen Bohnenimperium sitzen zu sehen. Auch diese Always-On Coffee-To-Go-Lurchis machen ihm schlechte Laune. Bei Straßencafés rümpft er die Nase, alleine bei Leuten, die sich in und vor Hausröstereien tummeln, sieht er noch einen gewissen Grad Hoffnung.

Dieter ist der selbsternannte Arabica-Dalai-Lama, der Hombre de Robusta, für den die restlichen Kaffeetrinker nur Bohnen-Bonobos sind. Kaffee ist sein Leben seit er seine Bitcoins abgestoßen hat und der realen, viel zu hektischen Welt entflieht. Er hat sein ganzes Haus in einen Ort umbauen lassen, der sich funktional und architektonisch dem Koffeinwunder unterwirft.

In einem riesigen Gewächshaus, an dessen Platz sich vorher ein Pool mit acht 50-Meterbahnen, eine Garage für 8 Oldtimer, eine Boulebahn mit kleiner Tribüne und ein Pferdestall für 4 Lipizzaner inkl. Dressurreitgelände befanden, hat er jetzt die Klimabedingungen für unterschiedlichste Kaffeesorten geschaffen und besitzt sozusagen seinen eigenen „Kaffeegürtel“, also eine Ansammlung verschiedener Anbaugebiete in komprimierter Form. Hier finden auch seine beiden Katzen „Ristretto“ und „Lungo“ Platz, die ihm durch die Body-Fermentation eine gewisse Menge Kopi Luwak für festliche Tage liefern. Er hat auch versucht, die Bohnen von einem Wisent, zwei Eichhörnchen und einem Waschbären durch deren Verdauung fermentieren zu lassen, was ihm Durchfall, Erbrechen und einen Krankenhausaufenthalt eingebracht hat.

Das wirkliche Prachtstück der gesamten Immobilie ist aber der Kaffeeraum. Ein wahrer Tempel wurde hier erschaffen inkl. Luftschleuse, um immer gleichbleibende Bedingungen zu gewährleisten. Dieter überlässt nichts dem Zufall, hat alles akribisch durchgeplant. Ich durfte ihn einen Tag begleiten und habe mal die Fakten seiner Detailverliebtheit in einem Bericht festgehalten.

Das Wasser wird via Umkehrosmose gereinigt und in einem 20 Liter Tank gespeichert. Entfernt werden Mangan, Eisen und Kohlensäure, um eine Korrosion an den Rohren zu verhindern, denn das wunderbare H2O soll durch Kaffee braun werden und nicht durch Ablagerungen an den Rohren. Das Wasser wird enthärtet, um immer die gleiche Qualität zu haben, da ist er pingelig. Er hat extra mit dem Golfen angefangen, um von der Chefin des Wasserwerks auf der täglichen Runde die aktuellen Wasserwerte aus erster Hand zu erfahren. Eine Genehmigung zum Bau eines eigenen Brunnens ist beantragt, dann ist endlich Schluss mit dem Schlägerschwingen, dann kann der extra eingestellte Laborant endlich die Werte direkt am und im Brunnen beeinflussen.

Die Maschine ist ein Hybrid aus einem Gerät, das den 1960ern entstammt und einem aktuellen Modell. Natürlich eine Siebträgermaschine. Bei der optischen Gestaltung hat er sich ein ganz besonderes Design überlegt. Die Andarr 2020, wie sie die Fachzeitschrift „Viva La Crema“ genannt hat, ist in die Motorhaube eines Buick Roadmaster Skylark von 1953 eingebaut. Das sieht erstens stylisch aus und zweitens bietet der Buick sofort 2 Sitzplätze für den Genuss des köstlichen Getränks. Technisch ist die Maschine eine Art Atomuhr der Kaffeezubereitung, denn sie weist einen kontinuierlichen Brühdruck von 9,1 Bar auf.

Die Röstung macht Dieter immer nur für den Tagesbedarf und das direkt nach dem Aufstehen. So hat der leidenschaftliche Pyjamaträger frische Bohnen und außerdem einen geregelten Tagesstart. Die täglich benötigten 7 Siebträgerfüllungen durchlaufen hierbei eine 30-minütige Veredelung in einer Rösttrommel aus den 1920ern bei 170 Grad Celsius. Der Duft entschädigt ihn immer wieder für die frühe Bettflucht, denn er weiß einfach, dass aus diesen Bohnen Gutes entsteht. Er kann nämlich seinen Vitaminhaushalt bezüglich Niacins anreichern, das wichtig ist für die Regeneration von Muskeln, Nerven und Haut.

Die Kaffeemenge ermittelt Dieter mithilfe einer Feinwaage, die bis auf die zweite Kommastelle geeicht ist. Nicht selten feilt der Gourmet mit einer Art Muskatreibe, die mit einem Elfenbeingrifff ausgestattet ist und laut Meisterpunze aus dem Jahr 1735 stammt, einen kleinen Teil einer Bohne ab, um genau 16,75 Gramm zu erreichen. Der Kaffee wird dann von Hand in einer hölzernen Kaffeemühle mit Keramikmahlwerk zerkleinert und nochmals nachgewogen. Hier kann es vorkommen, dass durch den Reibungsverlust ein kleiner Teil der zuvor mit der Muskatreibe flächenmäßig reduzierten Bohne wieder hinzugefügt werden muss.

Der Umgang mit dem Tamper (Massivgold und mit seinen Initialen versehen) ist aber der wahre Erfolgsgarant für den perfekten Bohnensmoothie. Auf die 54mm-Öffnung des speziell angefertigten Siebträgers, der ein Gewicht von 800 Gramm aufweist und mit einem Griff aus 4500 Jahre alter Mooreiche aufwarten kann, übt Dieter immer genau 15,3 Kilogramm Druck aus. Um diesen Wert bei der Kaffeemehlverdichtung konstant zu erreichen, wendet er die Andarr-Pressure Methode an, die er selber entwickelt hat. Für diese Methode muss die Muskulatur stets in identischer Menge und Form vorhanden sein. Diese Herangehensweise ist so genussversprechend, dass schon einige Fitnessstudios auf den Zug aufgesprungen sind und einen Andarr-Kurs anbieten, um ihren Kunden eine gleichbleibende Muskulatur zu ermöglichen. Diese Kurse sind mittlerweile besser besucht, als Yoga und Pilates. Auch mit Bier lässt sich Dieter einmal in der Woche einreiben, um die besonders beanspruchte Muskelpartien geschmeidig zu halten. Schröpfen, Moorbäder und Massagepistole, „dem Connaisseur ist nicht zu Schwör“, wie der sächsische Dichter Andreas-Martin Hölderwarth-Börkel zu sagen pflegte.

Bei der Technik, die Dieter anwendet, muss man leicht in die Hocke gehen, sich dann mit einem leichten Schwung nach vorne bewegen und minimal abspringen. Hierbei drückt man den Tamper mit der rechten Hand in den Siebträger, während man mit dem linken Arm rudernd eine 9 in die Luft zeichnet. Das erfordert sehr viel Übung, weil man zum Schluss auf Zehenspitzen stehend mit der Hand den Tamper erst 2 mal nach links, dann 3 mal nach rechts, wieder 2 mal nach links dreht und ihn dann rüttelnd mit einem tarzangleichen Schrei unter ständigen Rüttelbewegungen Richtung Decke wirft und mit dem linken Fuß auffängt.

Bei Tassen mag er es schlicht. Weiße Tassen aus der Ming-Dynastie des 15. Jahrhunderts, die eigentlich für Tee gemacht wurden, stehen vorgewärmt auf der Maschine. Immer griffbereit, um mit einem heißen Bohnenwasser die Lebensgeister zu wecken. Wenn so ein Porzellan-Nipperchen Risse bekommt oder gar herunterfällt, sind schon mal 90000 Euro futsch. Aber was ist die Alternative? Diese Allerweltsbecher mit den Schwertern? Tassen einer Firma, deren Erzeugnisse nach zu viel Alkoholgenusss mit beiden Armen umarmt und mit Mageninhalt oral geflutet werden. Nicht wirklich, etwas Stil muss man haben. So sitzt Dieter jetzt mit seinem Morgenmantel, den er lässig über den Flanell-Schlafanzug geworfen hat, auf seinem Ledersitz des Buick. Es kann so einfach sein, guten Kaffee zu trinken. Wirklich so unglaublich einfach.

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