Gerd Willeke betritt mit einem mulmigen Gefühl und in Begleitung seiner Freundin Nadja die Messehallen der weltgrößten Bettwarenmesse „Interlaken“ in Bedburg-Hau. Hier treffen sich jedes Jahr die Neuheiten-Jünger der Themenwelten Federung, Gummierung, Wattierung, Noppung, Steppung, Füllung etc. Eine riesige Anzahl Nightliner, also Busse mit Schlafkabinen statt Sitzen, bevölkert die Parkplätze vor den Messehallen, da die Leute eher auf Liegendtransporte stehen, um die neu erstandenen Decken und Kissen direkt auf der Rückfahrt testen zu können. Die Highlights dieses Jahr sind zum Beispiel hydraulisch gefederte Bettgestelle, da sich die Autoindustie neue Felder erschließen will.
Auch ein in die Matratze eingelassener Milbenstaubsauger, der mit einer Technik aufwartet, die man von Dunstabzugshaube eines Küchenherdes kennt und die Saugluft dadurch so über die ganze Matratze verteilt wird, ist ein wahrer Publikumsmagnet. Eine weitere Innovation ist das Wurflaken, das sich mit einer Art Krallentechnik selber an den Kanten befestigt. Dieses Jahr gibt es sogar die Weltneuheit für echte Technik-Nerds: eine ferngesteuerten Decke, die GPS-gesteuert per Knopfdruck in der App „Let’s Duvet“ millimetergenau auf dem Schlafenden landet und sich auch so programmieren lässt, dass sie nach dem Herunterfallen wieder automatisch zurück ins Bett kommt.
Das alles interessiert Gerd aber überhaupt nicht, denn er ist professioneller Ausschläfer und genau deshalb ist er hier. Beim Ausschlafen, von Kritikern auch gerne spöttisch Rausschlafen genannt, handelt es sich um eine Sportart, die in den Disziplinen Kingsize, Queensize und 1,40m ausgetragen wird. Bei den Lakenklassen wird unterschieden zwischen Biber, Satin, Frottee und Polyester/Baumwolle in den Teilgruppen Mischverhältnis 70/30 und 20/80.
Das Ziel beim Ausschlafen ist es, den Partner im Schlaf so schnell wie möglich aus dem Bett zu drücken, quasi ins Aus zu Schlafen. Paare kenne das, wenn einer seine Seite nachts einfach selbstgerecht vergrößert und das war auch der Auslöser für Trude Werthammer, diesen Sport ins Leben zu rufen. In einem Interview sagte sie einmal, dass ihr Mann ihr bei einer Bettbreite von 2,20 m nur 40 cm Platz ließ, was bei ihr immer wieder den Drang auslöste, statt aus dem Bett zu fallen, lieber auf die Couch im Wohnzimmer auszuweichen. Dann aber hörte sie von Ihren Freundinnen, dass es bei denen auch immer der Fall war und hatte die Idee, daraus einen Wettbewerb zu machen.
Aus der ersten Stadtmeisterschaft mit einem 26-köpfigen Starterfeld im holländischen Adriannendorp an Zee ist mittlerweile eine Weltmeisterschaft geworden, die an wechselnden Orten stattfindet und dieses Jahr über 500 Teilnehmer hat. Der Schlaf wird hierbei mittels Pulsuhr kontrolliert und ein Aufwachen während des Wettbewerbs führt zum sofortigen Ausscheiden. Gerd war vor Corona zusammen mit seiner Frau Simone Seriensieger in der Biber-Lakenklasse. Über 10 Jahre waren die beiden unschlagbar und es drohte schon langweilig zu werden. Aber dann kam Corona und man konnte den Wettbewerb nur noch im Internet aus den Schlafzimmern der Teilnehmer übertragen.
Experten wunderten sind, dass Gerd und Simone plötzlich in der Satin-Klasse antraten, verorteten die Änderung jedoch im Bereich der entstandenen Langeweile und fehlenden Motivation, auch den elften Titel hintereinander in der gleichen Klasse zu holen. Aber der Grund war perfider, denn Gerd wollte es sich und seiner Frau einfacher machen. Er wendete „foil and oil“ an und hatte die Hoffnung, dass man durch den Glanz des Satinlaken auf den Kamerabildern die Folie und das Öl nicht erkennen konnte.
Leider übertrieb er es aber mit dem Ölen, wodurch ihm seine Ausschlafpartnerin einfach so von der Bettfläche rutschte, sich durch den Aufprall auf dem Boden den Arm brach und bis zur Heizung rutschte, was ihr noch eine klaffende Platzwunde an der Stirn einbrachte, die sie aber durch die einsetzende Ohnmacht nicht bemerkte. Von dem Getöse wurde Gerd sofort wach und sprang direkt auf, um die Kamera auszuschalten und damit seine Manipulation zu vertuschen. Leider waren seine Füße so ölig, dass seine Bewegung einem 4-jährigen Kind auf Schlittschuhen glich, dem man mitten auf der Eisfläche den Hilfspinguin weggenommen hatte. Er flog rückwärts im hohen Bogen aufs Laminat und verlor das Bewusstsein, wodurch Jury und Zuschauer 5 Minuten und 32 Sekunden ein leeres Bett sahen und Gerd Sterne. Als er wieder bei bei Sinnen war, angelte er mit dem nicht schmerzenden Fuß nach der Kamera, die dann auch fiel und von ihm ausgeschaltet werden konnte. Naja, die Jury hatte ja trotzdem schon genug gesehen, zuletzt sogar Gerds Gesicht in Nachaufnahme, was an dem Fallwinkel der Kamera lag.
Neben einer schmerzhaften Schultereckgelenksprengung, einem verstauchten Knöchel und zwei ausgekugelten Daumen brachte ihm dieser falsche sportliche Ehrgeiz noch eine Sperre von 2 Jahren ein. Seine Frau Simone bekam eine Sperre von nur 6 Monaten, da sie glaubhaft den Nachweis erbringen konnte, dass sie nur an der Ausführung, aber nicht an der Planung beteiligt war. Sie trennte sich danach von ihm und tritt seitdem mit ihrem neuen Lebensparter Wilco van der Milben an.
Da Gerd durch diese Aktion alle Sponsoren verlor, ziert sein vom Verband genormter Ausschlaf-Anzug heute statt Werbung auf der Brust nur der Spruch „Die beste jemals getestete Matratze war mit mir verheiratet“. Er wird heute Abend wieder in der Biberklasse antreten, denn Wilco und Simone haben sich den Titel letztes Jahr geholt, seinen Titel, seinen verdammten Titel. Wilco ist übrigens auch kein Kind von Traurigkeit, denn auch er wurde schon einmal gesperrt. Er bekam während der Coronazeit eine 6-monatige Zwangspause, da die Kamerabilder ihn beim sogenannten „Toppern“ erwischten, also beim Verwenden einer Art Keil auf der Matratze, die durch das entstehende Gefälle eine bessere Zeit ermöglicht.
Das kann ja spannend werden.
