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Elke Pohn

Wir schreiben das Jahr 2018. Gemütlich ist es bei Elke Pohn. Die Wirtin der Hopfenstube, Samtkragen-Göttin von Wanne-Eickel und darüber hinaus Mutter der Kompanie für allerlei unterschiedliche Menschen, die es sich an ihrem Tresen so manches Mal alkoholtechnisch so geben, als gäbe es kein Morgen mehr, hat die Kneipe vor 3 Jahren nach dem Tod Ihres Vaters übernommen. Elke kam im Münsterland auf die Welt, damals hat da noch der Tierarzt die Entbindung übernommen, weshalb Elke ihren Raucherhusten immer damit zu entschuldigen versucht, dass der Veterinär ihr noch der Geburt nicht den ersten tiefen Luftzug entlockte, indem er ihr auf den Hintern haute, weil er das von den Pferden und Kühen natürlich nicht kannte Als gelernte Altenpflegerin ist sie allerlei Elend gewohnt, was ihr sicherlich auch den täglichen Gang hinter die Theke erträglicher macht.

Da wäre zum Beispiel Yvonne, dumm wie 3 Kilo Apfelkuchen, für die es Glück bedeutet, dass Atmen ein natürlicher Reflex ist. Sie ist durch ihre daraus resultierende Naivität die angesagteste Bückware auf dem Hartgeldstrich, sodass sie für ihre 30 Jahre schon sehr verbraucht aussieht, was bedeutet, dass Sie für „den Bückling machen“ wohl nie Scheine sehen wird. Sie hoffte immer auf den Einen, den Deckel, der auf sie passte, aber der einzige Deckel, der ihr Leben bestimmte, war der monatliche bei Elke. Das war ihr einziger Luxus, naja ihr einziger neben Muffin, einem zweijährigen Chihuahua, für den das Wort „stubenrein“ nicht gerade erfunden wurde und der definitiv nicht die Staatsangehörigkeit Schlankistans hat. Da Elke aber ein Herz für Tiere hat, liegen neben allerlei Hundekeksen auch immer nasse Aufnehmer in der Kneipe verteilt, um die Hinterlassenschaften der Handtaschenhupe zu beseitigen.

Den Stammplatz neben Yvonne hat sich in letzter Zeit Roman erarbeitet, der trinktechnisch mit allen Feuerwassern gewaschen ist. Wenn andere die Leber voll haben, fängt Roman erst an, denn als Sohn reicher Eltern, bei denen er mit 15 schon öfter mal den halben Weinkeller leer getrunken hat, schaltet er mittlerweile profimässig vom elterlichem Dauerdruck auf gepflegtes „Dauerstramm“ um. An den beruflichen Vorstellungen seiner Eltern ist er schon lange zerbrochen. Auch sein Vater hat ein dunkles Geheimnis, hat er mittlerweile doch die ganze Familienkohle beim Zocken durchgebracht und versucht nun mit steigenden Schulden die Fassade aufrecht zu halten. Auch nicht gerade, die Vorstellungen, die dessen Eltern von ihm hatten. Gut, dass Roman damals gegen den Familienwillen eine Ausbildung zum Schreiner gemacht hat und sich somit unabhängig durchs Leben bringen kann. Sogar seinen Meister hat er gebracht, Respekt. Sein Gesellenstück war übrigens ein verzierter Sarg, als kleine Anspielung auf die Aussage seiner Mutter, dass er sie irgendwann noch mal ins Grab bringen würde, durch die nicht standesgemäße Ausbildung für einen „von Stakelen“

Auch Simone gehört schon fast zum Inventar. Die junge Mutter mit 3 Kindern von 5 Vätern entwickelte ihre Wurftechnik schon mit 17 Jahren, mit ihrem ersten Kind Cedric Gulliver Johann, als sie selbst noch grün hinter den Ohren und weit entfernt von flügge war. Selbst heute ist sie mit ihren 23 Jahren eher ein Kulleraugenkind, als eine Frau, die mitten im Leben steht, immer mit einem Touch Bildungsangst. Da Simone schon immer auf der Suche nach Liebe war, die Sie in ihrer Kindheit nicht bekam, hat sie sich bei den Männern zu einem Wanderpokal für Silvester, Weihnachten, Karneval und andere Events entwickelt, natürlich ohne Verhütung und Vergütung. Bei der Häufigkeit, in der Sie der Freizügigkeit verfällt, konnte und kann man schon mindestens von einem verpassten Minijob reden. Die Kinder sind oft bei Oma, damit sie sich in ihre eigene Welt trinken kann, was sie mittlerweile in höchster Perfektion schafft.

Der heimliche Star der Kneipe ist aber Stefan, der mit seinem Schwedenhappen Inga schon so manche Nacht in der Hopfenstube verbracht hat. Auf der Straße würde man ihn aufgrund seiner bunten Designerkleidung, bei der nichts wirklich zusammenpasst, schnell als Regenbogen-Johnny abstempeln. In der Kneipe aber wissen sie alle, worauf sein Augenmerk liegt. Nämlich nicht auf dem schnöden Mammon und dem extravaganten Firlefanz, sondern der Liebe zu Inga und dem Flipper in der Ecke. Während Inga so manchen Heiermann in der Musikbox versenkt und sich zur Musik tanzend durch den Raum treiben lässt, fliegen bei Stefan die Kugeln wie in einem Sergio Leone Western. Keine Highscore ist vor ihm sicher und daher lässt Elke den Flipper alle 4 Wochen durch einen anderen Gerätetypen austauschen, denn Stefan ist ihr bestes „Pferd im Stall“. Denn Stefan ist ein Naturtalent und zieht schon seine Fangemeinde in die Hopfenstube, die sich hin immer zu neuen Spitzenwerten treiben und auch Elkes Einnahmen sehr stabil halten.

Leute, es gäbe noch so viel zu erzählen über dieses Kleinod an menschlichen Abgründen, aber das würde sicher den Rahmen sprengen. Glaubt mir, das war damals schon ein Kulturschock, als ich das erste Mal diese Kneipe betrat, um mir noch einen Absacker zu genehmigen. Eine Parallelwelt mit Fremdschämen und der Befürchtung, dass jederzeit die Ästhetikguerilla einmarschieren könnte. Da ist mir schon so mancher Schauer über den Rücken gelaufen, gepaart mit der Hoffnung, dass da keiner der Gäste auf der Strecke bleibt. Bei so manchem Gespräch, dass ich da in Fetzen belauschen konnte, dachte ich mir im Stillen, dass da die Wortführer sicherlich sogar von Amöben ausgelacht werden würden. Man erkannte aber schnell, dass die Wirtin ein großes Herz hatte, aber auch schon an vielen Tagen mit blutenden Ohren die Kneipe verlassen hat

Nun ja, mittlerweile haben wir 2023, die Coronawelle ist weitestgehend über uns hinweg gezogen und ich war mal wieder da. Was mich da geritten hat, weiß ich nicht wirklich. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich einfach noch ein Bier brauchte, um meine Nacht zu beenden. Auf Elkes Anwesenheit musste ich verzichten, wie alle anderen auch, denn wie ich erfuhr, hatte Elke in ihrem nicht mehr ganz jugendlichen Leichtsinn das in der Tempo 30 Zone mit über 80 Stundenkilometern auf sie zukommende Elektroauto überhört und war nach dem Aufprall auf der Motorhaube an einem 10 Meter entfernt am Straßenrand stehenden Baum abrupt gestoppt worden. Ein Flug, der jeden Weitspringer in Topform vor Neid erblassen lassen würde. Nachdem die Feuerwehr ihre Überreste aus dem Baum geflext hatte, konnte sie quasi im nahegelegenen Waldstück verstreut werden, ohne vorher verbrannt worden zu sein. Kein schönes Ende, aber dafür schnell und ohne Schmerzen.

Schnell entschied sich Roman, der mit seiner Schreinerei nicht wirklich glücklich war, Elkes Nachfolge anzutreten und seine Trinkgewohnheiten hinter der Theke fortzuführen. Er ist übrigens schon 2 Jahre mit Simone verheiratet, was sicherlich daran liegt, dass der eine oder andere Vaterschaftstest zu seinen Gunsten ausfiel. Stefan gibt sich immer noch regelmäßig die Kugel am Flipper, den Roman nur für ihn in der Ecke stehen lässt. Er hat es nicht übers Herz gebracht, die alten Zockerzeiten für beendet zu erklären, sicherlich auch, weil Inga vor einem Jahr mit einem Geschäftsmann durchgebrannt ist und sich nun von eben jenem aushalten lässt. Da konnte der Flipper ein bisschen die Fallhöhe von Stefan dämpfen, den Rest erledigte Yvonne, in deren Armen er sich oft ausweinen konnte. Yvonne hat ihren Hauptschulabschluss nachgeholt und in der City das Nagelstudio „Nagelluck“ eröffnet.

Die Kneipe selber sieht noch aus wie früher, nur das Mobiliar wurde etwas auf Vordermann gebracht, wobei Roman seine Ausbildung zugute kam. So ist Elkes Erbe bewahrt, aber ein Touch Roman erkennbar. Wenn ihr mal in der Nähe seid, schaut doch einfach vorbei. Fragt nach Elke Pohns Kneipe, die kennt jeder in Wanne-Eickel.

Wenn die Geschichte stimmt.

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