Ich bin mit Sven öfter beruflich unterwegs, sitze auch mit ihm in einem Büro. Sven ist schon etwas speziell, ein Mann der Extreme könnte man sagen. Immer mit einer Hirnwindung zu wenig, um Risiken abzuschätzen. Dazu gehören auch lange Autofahrten, obwohl er ständig dem Sekundenschlaf verfällt. Wahrscheinlich resultierend aus Schlaf-Apnoe und durchgemachten Zockernächten. Das gibt den gewissen Kick, den man nicht wirklich braucht, wenn man Beifahrer ist.
Sven ist mit seinen 1,80 m etwa 50 cm zu klein für sein Gewicht, was ihn aber nicht stört, denn gerade beim Essen lebt er sein Streben nach Extremen aus. Er liebt es aufzufallen und lässt wirklich nichts aus. Einmal hat er sich mithilfe eines zusammengerollten Post-IT eine gute Ladung Habanero-Chili-Pulver durch die Nase gezogen und war danach nur für sein Stundenkonto, nicht aber für die Akten auf seinem Schreibtisch arbeitsfähig. Denn natürlich war das Brennen unbeschreiblich und das Augentränen nahm kein Ende. Ein Bild für die Götter und ein echtes Highlight, diesem Akt der Dummheit beiwohnen zu dürfen.
Auch seine Nachbarn bekamen seinen Drang zum „Besonderen“ zu spüren. Eines nachts spielte er mal wieder sein Lieblingsspiel Call of Duty auf voller Lautstärke, die durch seine Kopfhörer in seine Ohren wummerte und so war er in seiner eigenen Welt. Schlecht für die Nachbarn, die ihn immer schon suspekt fanden. Wer findet es schon lustig, die ganze Nacht „Stirb“, Stiiiiiiiiirb“, „Stirb, du Sau“, „Du kannst dich ruhig verstecken, Dir baller ich trotzdem eine Kugel in den Schädel“, Stiiiirb, Stirb, Stiiiiiiiiiirb“, „Ich bring dich uuuuuuum“, „Ich baller dich um“, „Nimm das, du dreckiger Aaaaaaaaaaaaaaa“ usw. zu hören.
Die gerufenen Polizisten hatten keine Lust, länger als 2 Minuten auf das Öffnen der Wohnungstür zu warten… „Stiiiiirb“, „Aaaaaaaaaah“, Ich schieße dir in den Kopf und lach dich aus“, „Ratatatatatata“, Jaaaaaaaaaah“, zack, ein Tritt gegen die Tür und schon hatten sie sich Zutritt verschafft. Stiiiiirb“, Stiiiiiiiiirb jetzt“, „Raaaaaaaaaa“ schrie Sven noch, als die Polizisten schon hinter ihm standen. Die Waffen hatten Sie immer noch im Anschlag und sahen jetzt in Svens verdutzt dreinblickende Augen. Da zielte jemand auf ihn und da war keine Monitorscheibe dazwischen. Das war real, zu real für ihn, was die Pfütze, die unter seinem Stuhl entstanden war, eindrucksvoll bewies. Zum Glück kam er mit der Aktion nicht in die Zeitung, wie hätte er das seinem Arbeitgeber, wie seiner Familie erklären sollen?
Aber es gab da einen besonderen Tag, der mir wohl immer in Erinnerung bleiben wird. Wir waren mal wieder zusammen unterwegs und dieses Mal wurde es später. Auf dem Rückweg steuerten wir eines dieser Goldbogenrestaurants an, besonders bei Kindern beliebt, weil man sie jedes Mal mit einem Spielzeug lockt, das meistens schon beim Verlassen des Ladens uninteressant ist. Sven bestellte zuerst und man sah dem Mitarbeiter die Verwunderung an, dass ich auch noch was bestellte, dachte er doch es handele sich um eine 2-Personen-Bestellung. An Tabletts stand es bei der Abholung 2:1 für Sven, denn die Menge an Essen brauchte ja Platz, auch wenn die Mitarbeiter schon Burger-Tetris gespielt haben, um Svens Bestellung auf 2 Tabletts zu begrenzen.
20 Minuten später verabschiedete sich Sven Richtung Toiletten. Naja, er hatte sich wie eine Raupe durch seinen Fastfood-Kilimandscharo gefressen, jetzt wurde endversaut. Vielleicht sollte jemand das städtische Wasserwerk informieren, dass da jetzt eine ganz schöne Ladung auf die Kläranlage zukommt, aber um die Uhrzeit (mittlerweile 22:10) war sicher nur noch der Notdienst da und die betreffenden Mitarbeiter müssten ja sowieso antreten, wenn etwas Schlimmes passieren würde.
Nach 15 Minuten wunderte ich mich, wo er blieb, denn die Crew hinter dem Tresen machte sich so langsam Ready for Feierabend. Aber plötzlich kam ein Kunde herein und schilderte uns, dass er in der Dunkelheit komische Geräusche an der Rutsche gehört habe. Ein Tier könne es nicht sein, aber nicht, dass da jemandem was passiert wäre. Und jemandem war was passiert, nämlich Sven. Als wir heraustraten, sahen wir, dass da jemand auf der Rutsche saß. Naja, sitzen ist da jetzt nicht der richtige Begriff, der verstopfte die Rutsche, hing da, wie ein Keil bzw. war es so, als wolle man einen Tennisball durch einen Strohhalm saugen. Das…passt…nicht…
Ich konnte nicht mehr gerade stehen vor lachen, musste mich immer wieder wegdrehen. Die Sätze „Ich stecke fest“, „Ich spüre meine Beine nicht mehr“, „Ich komme hier nie wieder raus“, „Uih, ist das eng“, „meine Füße kribbeln schon“ und „Ich glaube, ihr müsst mich hier rausziehen“ taten ihr übriges. Es war zwar sehr unkollegial, aber ich konnte nicht helfen. Ich konnte einfach nicht vor lachen, es war einfach zu viel, um zum Tagesgeschäft überzugehen.
Und so mussten 2 Angestellte des goldenen M helfen, Sven aus seiner Lage zu befreien, denn er wirkte, wie mit der Rutsche verschmolzen. Sie zogen Sven rauf und man höre nur „Zieh du ihn nach links“, Uih, das brennt“, Zieh du jetzt“, „Aua, Ich hab meine Hand eingeklemmt, nicht ziehen“, „Hau ruck“, „Ich häng nicht mehr fest“, „Ach doch wieder“, „Jetzt geht’s, ich versuch aufzustehen“, „Ja, passt“, Hau ruck“, „Auf 3, 1,2,3“. Nach knapp 10 Minuten kamen die 3 schweißgebadet in meine Richtung und würdigten mich keines Blickes. Sven vor Scham und die beiden Mitarbeiter, weil sie mir mein Lachen sichtlich übelnahmen. Sven packte danach 50 Euro in die Kaffeekasse und drückte dem Kunden, der uns informiert hatte, 50 Euro in die Hand damit er das Video, das er von der Rettung gemacht hatte, wieder löschte.
Die ganze restliche Rückfahrt sprach Sven kein Wort mehr mit mir. Aber er schlief auch nicht ein, diese Situation hatte ihm anscheinend so viel Adrenalin in den für sein Gewicht zu kleinen Körper gepumpt, dass er sicher auch daheim nicht so schnell Schlaf finden sollte. Gut, dass Sven nicht mitbekommen hat, dass der Kunde mir das Video vor dem Löschen noch zugeschickt hat. Wenn ich mal schlechte Laune habe, gucke ich mir diesen oscarverdächtigen Kurzfilm an. Göttlich, einfach göttlich.