Wrapper – Englischer Begriff für das Deckblatt einer Zigarre, also für den Teil, den man optisch wahrnimmt und der die Hülle für die Einlage bildet.
TEIL 1
„Peter, dieser Spießer“, dachte sich Gregor. Er konnte ihn nicht verstehen, denn sie waren grundverschieden. Für ihn war Peter so einfältig, dass er sich richtig vorstellen konnte, wie der sich zum Zigaretten holen bei seiner Frau verabschiedete und keinen Gedanken daran verschwendete, einfach mal nicht zurückzukehren. Er selbst lebte lieber nach dem Motto „Wer viel erlegt, erlebt auch viel“. Er hatte vor Jahren schon in sein Testament schreiben lassen, dass die Frau alles erbt, unter der er hoffentlich eines Tages im Bett sterben wird. Gestern wäre es fast so weit gewesen, vielleicht ist er für eine 18-jährige doch langsam zu alt. „Gregor, diese Arschmade“, sagte sich Peter gebetsmühlenartig selbst. „Dem kann man auch nur von der Wand bis zur Tapete trauen!“ Gregor war schon über 50, aber trotzdem hatte er immer Liebschaften, die das 20. Lebensjahr selten vollendet hatten. Fast hatte man den Eindruck, als hätte er mit einer Tüte Bonbons raschelnd vor dem örtlichen Gymnasium gestanden, um sich eine neue Bettgefährtin zu angeln. Es kotzte ihn an, dass Gregor in der „Bullenhitze“ war, aber sie waren nun einmal ein Ermittlerteam. Und gerade heute nach der durchzechten Nacht war Peter geladen, wie ein polnischer LKW mit abgefahrenen Reifen. Aber der Hahndrang gestern war einfach zu stark gewesen und so ging es direkt aus der Kneipe zum Dienst.
Gregor und Peter trafen sich wie immer zu Beginn eines Falls in Ellas Büdchen zu einem Kaffee. Nicht gerade die hochwertigste Bohne, die sich da in der Tasse befand, also gar nicht mal so gut. Peter war froh, dass Gregor wenigstens heute pünktlich am Treffpunkt erschien, denn normalerweise musste er die Erstanalyse der Fakten oft allein vornehmen. Aber als er sah, wie Gregor durch die Tür kam, bemerkte er, dass da wohl gestern wieder eine harte Bettschicht angesagt war, denn seinem Partner sackten immer mal wieder die Beine etwas weg. Er bat Ella, die Musik leiser zu machen, um sich besser mit Gregor unterhalten zu können. Widerwillig machte Sie ihren geliebten Deathmetal aus, war doch gerade erst die neue Platte von BETON IM DARM erschienen und Ella liebte diese Band. Was sicher auch daran lag, dass Sie mit dem Sänger schon so manche Nacht durchgezecht hatte… und vieles mehr. Sie hatten Tatortfotos, Laborwerte von Blutspuren und Tabakblätter. Das Letzte irritierte beide längst nicht mehr, war es doch schon der fünfte so geartete Fall. Auch wunderte es Peter nicht mehr, dass Gregor eines der Blätter zerbröselte und sich daraus in Verbindung mit einem Blättchen eine Zigarette drehte. Vernichtung von Beweismitteln mal wieder, wie er es von seinem Kollegen kannte. Zu oft hatte er schon erlebt, dass Spuren plötzlich verschwanden, die dazu geführt hatten, dass man nicht hundertprozentig sicher sein konnte, ob man den richtigen Verdächtigen hatte. Bei den letzte 15 bis 20% half dann immer die Kunst des Wegwerfens.
Eine Stunde später machten sie sich auf den Weg zum Tatort, einem Etablissement, das eindeutiger nicht sein konnte. Zwar erweckte das Gebäude von außen den Anschein eines normalen Mehrfamilienhauses, aber man merkte schon an der spärlichen Einrichtung, dass es sich um ein Nagelstudio der käuflichen Liebe handelte. Die Betten wirkten so durchgenudelt, wie die Mädels selbst. Hier war billig nicht nur auf den Preis bezogen, sondern konnte auch auf die Protagonisten des Aktes angewendet werden. Und da hatte sie gelegen, die 25jährige Susanna Subdiczu. Der Bastard hatte es schon wieder getan. Peter sah es auf dem Foto der Spurensicherung, das er in den Händen hielt. Der Täter hatte sein perverses Spiel mit ihr veranstaltet und sie danach in Tabakblätter eingewickelt, sodass sie aussah wie eine Zigarre. Auch die Abdrücke des Stativs, auf dem er sicherlich, wie auch schon bei den letzten Malen, eine Videokamera befestigt hatte, um den ganzen Akt zu filmen und danach wieder ins Internet zu stellen, waren auf dem Boden neben dem bettähnlichen Holzmix zu sehen. „Kranke Scheisse“ dachte sich Gregor, als er und sein Partner plötzlich ein Geräusch hörten, das aus dem Nebenraum kam.
Als Peter gerade die Tür zu dem Raum aus dem das Gepolter kam öffnen wollte, wurde diese mit richtig viel Schmackes aufgestoßen. Das brachte ihm eine schöne Beule auf der Stirn und eine Platzwunde auf dem Hinterkopf ein, da er natürlich durch den sich ergebenden Überraschungsmoment hinten rüber kippte. Auf der anderen Seite der Tür hatte ein Mann vor Angst die Flucht angetreten und durch die abrupten Türbewegung dafür gesorgt, dass Peter nun ein rot-weißes Hemd im Batikdesign trug. Dem schlecht und kunterbunt gekleideten Flüchtigen wurde der spontan in den Weg gestellte Fuß von Gregor zum Verhängnis und so schaffte er es noch, die ersten beiden Stufen mit rudernden Armen zu meistern, bekam dann aber für die restlichen sieben kostenlose Flugstunden. Unten gelandet, rappelte er sich auf, merkte aber schnell, dass man mit einem komplizierten Bruch gerade noch ein Kurzpassspiel beim Standfußball durchführen konnte oder einen riskanten Kriechgang über die stark befahrenen Straßen, der wohl den sicheren Tod bedeutete hätte. Gregor hastete hinterher und nahm den Mann in den Schwitzkasten, nachdem er die Verletzung seines Kollegen mit einem Tritt in die Kronjuwelen des am Straßenrand Gestrandeten rächte. Denn wer austeilt, muss auch mischen.
TEIL 2
Nun war auch Peter auf dem Gehweg angekommen. Er hatte die Platzwunde notdürftig mit Mullbinden auf dem Verbandskasten verarztet, den er im Schrank des Verrichtungszimmers gefunden hatte. Nun nahm er sich den kleinen Hänfling vor, den sein Partner in Schach hielt. Da klatschte es ein paar Mal, aber nicht Beifall. Für ihn war es keine Selbstjustiz, denn er war ja weder Anwalt noch Richter, sondern Kriminalbeamter. Er war einfach ein netter Mensch und wollte seine Schmerzen brüderlich teilen. Danach folgte die Festnahme, denn Sie vermuteten, dass der Täter zum Tatort zurückgekehrt war, um noch ein paar Spuren zu verwischen. Hatten sie ihn gestört? Die Freude war schnell verflogen. Denn statt den Serienkiller zu fangen, war ihnen Goran, der taubstumme Bruder der Entsafterin ins Netz gegangen. Gestatten: Goran, seines Zeichens stümperhafter Beschaffungskrimineller und stark drogenabhängig. Was er da beim Verhör in verwackelter Schrift zu Papier brachte, klang plausibel. Er behauptete, sich mal wieder Geld von seiner Schwester geliehen haben zu wollen, um sich den nächsten Schuss zu finanzieren. Als er dann das blutverschmierte Bett gesehen hatte, war er wie in Trance. Als er dann auch noch die beiden Gestalten, damit meinte er augenscheinlich Peter und Gregor, durch das Fenster der Verrichtungszimmers sah, blieb ihm nur eine Wahl: Ab ins Nebenzimmer.
Wie Gregor diese Junkies hasste, zu nichts waren Sie zu gebrauchen. Noch nicht einmal zum Serienmörder. Der Herr hat Hirn regnen lassen, aber einige hatten halt einen Schirm. Nun konzentrierten Sie ihre Ermittlungen auf die im Handy der Toten aufgeführten letzten Anrufe, was sich bei der Schenkelsportlerin als schwierig herausstellte, da es einfach zu viele waren, was einen zu großen Radium an Verdächtigen offerierte. Und man wollte ja auch nicht jeden ehemaligen Freier aus seinem geregelten Leben holen, indem man ihn zu einer Prostituierten verhörte. Aber es hatten sich durch Ermittlungen des Innendienstes fünf Kandidaten herauskristallisiert. Den ersten Herren besuchten Sie nun, den 50jährigen Gelegenheitsarbeiter Eugen Kiesewetter. Er war neu in der Stadt, hatte Susanna aber in der letzten Woche dreimal kontaktiert. Eigentlich ein Ausschlusskriterium, denn jeder Besuch steigerte das Risiko, bei den Anwohnern aufzufallen, aber Peter und Gregor klammerten sich an jeden Strohhalm. Als sie aus dem Aufzug in 17. Stock des Hochhauses ausstiegen, kam ihnen schon der beißende Geruch von Moder und Urin entgegen, der aufzeigte, dass Sie nicht gerade im Nobelviertel der Stadt unterwegs waren.
Als Kiesewetter die Tür öffnete, fragte er die Beamten direkt nach den Ausweisen. Danach gab den Beamten sofort die Möglichkeit, sich in der Wohnung umzusehen. Die Möbel in der Behausung passten nicht zur Wohngegend und auch nicht zum sonstigen Lebenswandel. Denn wenn man die Preise der existierenden Möbel vor dem geistigen Auge addierte, merkte man schnell, dass der gute Eugen die Raten wahrscheinlich mit der gleichen Mühe abstotterte, wie er das mit seinen artikulierten Sätzen tat. Da hätte es gutgetan, das Geld, das bei den wahrscheinlich als Ritualmorden zu verbuchenden Taten entwendet wurde, für seinen eigenen Lebenswandel zu benutzen. Aber wo sollte er die Tabakblätter herbekommen haben, mit denen die toten drapiert oder besser gesagt ansatzweise eingewickelt wurden? Im 17. Stock auf dem Balkon? Möglich wäre es, nur glaubte Gregor dem zitternden Stotterer, der sehr mitgenommen war von Susannas Tod. Sein Alibi war eine Schwarzarbeitsbaustelle im Norden der Stadt, bei der es natürlich keine Zeugen gab. Peter und Gregor tauschten sich kurz aus und beschlossen dann, von einer weiteren Untersuchung des Alibis Abstand zu nehmen, da dem armen Teufel sonst wohl nur der Sprung aus dem obersten Stockwerk geblieben wäre.
Nach dem Verlassen der Wohnung und der Fahrt mit dem Fahrstuhl ging es erst einmal zum Büdchen. Dort musste Gregor seinen Kräuterhaushalt wieder auffüllen, was nichts anderes bedeutete, als sich zwei kleine Jägermeister in den Kopf zu kippen. Kandidat 1 war raus, mal sehen, welche menschlichen Abgründe sich noch auftun würden. Auf den morgigen Tag freute er sich diebisch. Denn er hatte etwas an der Reihenfolge manipuliert und so war bereits morgen sein ehemaliger Schulfreund Jürgen Görgel an der Reihe. Der hatte es schon immer verstanden, sich auf die Sonnenseite des Lebens zu setzen und andere für sich arbeiten zu lassen. Seit dem letzten Klassentreffen wusste Gregor, dass sich Jürgen eine alte, faltige, hässliche, aber reiche Unternehmenserbin geangelt hatte und sich nun von ihr aushalten ließ. Gregor hatte noch ein paar Rechnungen mit ihm offen und die sollten morgen nun beglichen werden. Und da war eine lange Liste auf der Demütigungen und Enttäuschungen standen, die morgen allesamt beglichen würden. Außerdem war Jürgen damals schon der größte Schenkelspalter der ganzen Schule und hatte Gregor zwei Freundinnen ausgespannt, Sie dann nach jeweils einer Woche wieder durch eine Neue ersetzt. Also heute Abend keine Damenkontakte, denn Gregor brauchte morgen definitiv das Blut im Kopf.
TEIL 3
Gregor, alte Felge! Schön dich zu sehen!“ rief ihm Jürgen schon von der Tür aus entgegen. Peter und Gregor hatten am Tor geklingelt und waren dann, als es geöffnet wurde, auf den Parkplatz vor dem Haus gefahren. Und Gregor freute sich schon auf den Moment, an dem sich Jürgen plötzlich nicht mehr so künstlich freuen konnte. Und dieser Moment war nur noch Minuten entfernt. Auch die Dame des Hauses war zugegen und fragte natürlich erst einmal nach den Ausweisen der beiden. Nachdem das organisatorische geklärt war, spielte Gregor seinen Trumpf aus. „Jürgen, erklärst du deiner Frau den Zusammenhang zwischen Dir und der Prostituierten Lola (so nannte sich Susanna Subdiczu in einschlägigen Werbeanzeigen) aus der Südstadt, oder sollen wir in die Details gehen?“ Nach den Erklärungen von Jürgen klatschte es, aber definitiv keinen Beifall. Denn es handelte sich um die flache Hand, die erst mit der Innenseite und dann, wie im Zeitraffer, mit der Rückseite in Jürgens Gesicht einschlug und das im wahrsten Sinne des Wortes.
Da gibt es sicher noch Gesprächsbedarf zwischen den beiden. Gregor hatte einen Moment lang einen Gedanken darauf verschwendet, ob es denn wirklich nötig gewesen war, Jürgen vor seiner Frau zu befragen, aber einen Moment später machte sich in seinem Bauch diese wohlige Wärme breit, die man nur bei Rache verspürt. Dieser Typ hatte jede Ohrfeige seiner Frau verdient und am liebsten hätte er auch noch kostenlos eine draufgelegt, um das Kapitel „Vergangenheit“ endlich abzuschließen. Aber er entschloss sich dann doch, Jürgen nur zu befragen.
Im Wintergarten des Hauses, der ohne jegliches Grün auszukommen schien, nahmen Peter und Er sich ihn zur Brust. Ein wirkliches Alibi hatte er jetzt nicht gerade aufzuweisen, denn er sagte, er wäre auf der Terrasse in der Liege eingeschlafen zur Tatzeit des letzten Mordes. Blieben natürlich noch die anderen Meuchelungen, bei denen er aber aus dem Kopf nicht sagen konnte, wo er sich zu den Zeiten befand. Das ist aber auch realistischer, als aus der Pistole geschossen sagen zu können, was man wann und wo gemacht hat. Trotzdem stellten Gregor und Peter sich die Frage, ob eine vorsorgliche Festnahme angebracht war, denn einerseits wirkte die Aussage mit der Liege nicht wirklich hieb- und stichfest, andererseits hätte Jürgen dann in der Zelle quasi auch einen Schutzraum, denn man konnte nicht vorhersagen, was seiner Frau im Laufe des Tages noch so in den Kopf kam. Und ein Mord aus Eifersucht war das Letzte, das Jürgen heute noch brauchte. Sie entschieden sich dann aber gegen einen Umzug Jürgens in die JVA, da Sie noch 10 Minuten bei Jürgens Frau an die Vernunft appellierten. Auf dem Weg zum Auto beschlich Peter ein ungutes Gefühl. Hatten Sie etwas vergessen, hatten Sie gar etwas übersehen? Irgendwas stimmte mit Jürgen nicht. Oder war er einfach nur eingeschüchtert durch das zutage getretene Temperament seiner Frau? Er vertraute Gregor, der den Verdächtigen schließlich schon länger kannte.
Der nächste Verdächtige auf der Liste war Wölli Rehbein, seines Zeichens wohl der erfolgloseste Intimfrisör Deutschlands. Er wollte sich damals ganz nach oben arbeiten, aber schon 3 Wochen nach Eröffnung seines Salons namens HAARPUNZEL war alles vorbei. Denn da Wölli bereits in der Schule damals bemerken ließ, dass die Kerze auf der Torte zwar hell war, aber sehr schnell ausgepustet wurde, war natürlich auch Chemie ein Buch mit sieben Siegeln für ihn. „Der hat am Blitz gepackt“ hätte Gregors Oma damals gesagt. Er hatte es doch damals wirklich geschafft, durch das falsche Mischungsverhältnis den Venushügel seiner Kundin nicht zu enthaaren, sondern dauerhaft in einen Vulkan zu verwandeln. Gut, dass die schon von Geburt an O-Beine hatte, denn das erleichterte das Gehen ab dem Moment ungemein.
TEIL 4
Als Peter den guten Wölli zuerst sah, war ihm sofort klar “ Der ist mehr Homo als Sapiens“. Aber Peter stand der Sache positiv gegenüber, war sein Bruder doch auch auf der anderen Seite des Regenbogens unterwegs. Wölli war völlig neben der Spur, was sicherlich auch am Pegel lag, den er voller Inbrunst mit einem sauren Bauer in die Gegend bölkte. Von dem Flaschenpfand, der sich in der Wohnung türmte, hätte man ein ganzes Dorf in der Sahelzone 3 Monate durchfüttern können. Im rosa Jogginganzug aus Ballonseide war die Zeit auch nicht spurlos vorüber gegangen und mit den gelblichen Schweißrändern unter den Armen des ehemals weißen Shirts darunter, das gleichzeitig eine Zusammenfassung des Essens der letzten Woche war, konnte es schon lange keine Waschmaschine mehr aufnehmen. Aber er war sehr pragmatisch, denn um den Beamten einen leeren Tisch zu präsentieren streckte er einfach den Unterarm aus und fuhr damit über den Tisch, um das Flaschenmeer auf die Seite des Bodens zu befördern, an dem keine Sitzmöbel standen. So konnte man sich an dem Tisch setzen und sich unterhalten, wobei Wölli sichtlich Probleme hatte, dem Gespräch zu folgen.
Vor dem Vorfall im Haarsalon hatte er sein geregeltes Leben. Er arbeitete in der Firma seines Bruders, der eine Müllverwertung hatte. Da Wölli die Arbeiten an den Kunden natürlich ohne Handschuhe ausgeführt hatte, war es für die Chemikalien ein Leichtes, sich an Haut und Muskeln zu bedienen. Dadurch war es Wölli auch gerade noch möglich, eine Bierflasche oder auch eine hochprozentige Wasseralternative hochzuheben, um den Pegel zu halten. An Arbeiten war nicht mehr zu denken, denn die Medikamente für die Linderung der Schmerzen waren einfach schon durch die Zuzahlung so unerschwinglich, dass er die Sache lieber mit SEBIKO, also sehr billigem Korn, therapierte. Peter und Gregor waren sich schnell einig, dass der Typ es sich nicht schaffte, an die 380 Tabakblätter mit ruhiger Hand zu platzieren, nachdem er die Opfer ermordet hatte. Und zur Tatzeit war er sicherlich entweder an der Bude um Nachschub zu holen oder schlief seinen Rausch aus. Thema Rausch ausschlafen: Gregor inspizierte zur Sicherheit noch das Schlafzimmer, besser gesagt hatte er das vor. Denn als er die Tür zu diesem Zimmer öffnete, schloss er Sie direkt wieder.
„Weißt du, wie Kotze riecht? Ich brech Dir gleich vor die Füße“ rechtfertigte er seinen Entschluss, das Zimmer nicht zu betreten, als Peter ihn komisch von der Seite ansah.
Den beiden kam es mal wieder vor wie eine Parallelwelt, aber Sie waren diese Orte des menschlichen Vegetierens gewohnt. Gregor war froh, dass sein Handy stumm blieb, denn das bedeutete zwar, dass es keine weiteren Beweismittel gab, es hieß aber auch, dass der Täter nicht wieder zugeschlagen hatte. Und er hatte nun so langsam genug von dieser Brutalität. Er hoffte, dass sich der Mörder von den Ermittlungen aufgescheucht in einen Fehler treiben ließ. Oder sich einfach zu sicher fühlte und dadurch leichtsinnig wurde. Aber ehrlich gesagt, hatte Peter ihm den Zahn gezogen, indem er mit seinem grenzenlosen Pessimismus die Fälle aufzählte, bei denen sich etwas von allein erledigt hatte. Und die generelle Erfolgsquote der beiden erinnerte an die Bundesligazeit von Tansania Berlin, sodass es im Revier schon der Spruch „Gregor und Peter – Der Lottogewinn für Ganoven“ kursierte.
Der nächste auf der Liste war der Milchbauer Benno Koll, der den Ort durch seine Teilnahme an einem einschlägigen TV-Format für Landwirte zur Berühmtheit machte. Andere sagen auch, dass er die Ortschaft durch die Beteiligung bei diesem Minderbemittelten-Format in Verruf brachte. Gregor und Peter gehörten zu der zweiten Gruppe, was Sie Benno aber nicht unter die Nase binden wollten. Bei der Familie Koll war der Stammbaum schon seit Generationen ein Kreis und es war schon verwunderlich, dass durch die jeweilige Vermählung im Familienkreis noch kein Kind mit 2 Köpfen auf die Welt gekommen war. Allein für diese Familie scheint der Begriff INZUCHT in den Duden aufgenommen worden zu sein, frei nach dem Motto „Warum in die Ferne schweifen, wenn die Schwester nebenan wohnt?“. Benno selber war der perfekte Schneeräumer, da er das linke Bein seitlich nachzog, seitdem er als Kind vom Dach der Scheune gefallen war. Natürlich hatte auch sein Oberstübchen gelitten, was in der Familie aber niemand zugeben wollte.
TEIL 5
Die Besuche bei den Kolls sollte man für den späten Morgen einplanen, denn dann erlebt man ein Schauspiel der besonderen Art. Zu diesem Zeitpunkt trifft sich die komplette Familie, bei der man bei 80 % der Mitglieder glaubt, dass Sie morgens mit dem Bus geholt werden. Natürlich war es etwas makaber, die Befragung durchzuführen, während man sich die noch handwarme Blutwurst der Kolls schmecken ließ, aber so konnte man das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Teilten sich Peter und Gregor nun wirklich mit einem mehrfachen Mörder den Platz am Tisch? Der landwirtschaftliche Betrieb bot genug Platz, eine Menge an Tabakblättern zu ernten, die ausgereicht hätte, die ganze Rotlichtszene der Stadt nach der Tat mit Tabakblättern zu bedecken. Auch ein Alibi hatte Koll nicht, fuhr er doch gerne mal ziellos den ganzen Tag mit seinem Traktor durch die Gegend. Benno war der Typ Mensch, der sich im Schritt kratzte und dann an den Fingern roch und frei nach Gregors Oma: Dumm wie 10 Meter Feldweg.
Aber traute Gregor diesem geistig unbewaffneten Bauern zu, einigen Vertreterinnen des horizontalen Gewerbes mit einem stumpfen Gegenstand den Kopf zu zertrümmern, den Körper danach mit Tabakblättern einzuhüllen und das Ganze dann auch noch zu filmen? Und das noch mit Kolls Spastik, die alle paar Minuten seinen Kopf nach hinten schlagen ließ. Das war sicherlich nur für Außenstehende lustig, da Benno während des Essens mit seinem Schädel gegen die Holzvertäfelung hinter ihm schlug und dann vor Schmerz aufstöhnte. Das hörte sich etwa so an, wie eine Damentennis-Begegnung, sah aber anderes aus. Peter und Gregor war eigentlich schon vor dem Besuch klar, dass Sie bei den Kolls an der falschen Stelle waren, wenn es darum ging, nach dem Hurenmörder zu suchen. Aber als Benno nun mit einer Schale Mett, das so frisch aussah, als wäre es gerade erst vom lebenden Tier geschnitten worden, war Ihnen klar, dass jemand, der nun bereits mehrere menschliche Köpfe zu Brei verwandelt hatte, sicherlich nicht zur Tagesordnung überging und handwarmes Fleisch durch den Wolf drehte.
Als Gregor sich gerade die dritte Tasse Kaffee gönnte, klingelte sein Handy. Es war Simone aus der Dienststelle, die ihn seit der gemeinsamen Nacht vor 3 Wochen immer mal wieder kontaktierte, um Ihn zu einer Fortsetzung der abendlichen Bewegungstherapie zu überreden, was er aber nicht wollte.
Nun war Sie schon wieder am Telefon, wie er es auf seinem Telefon ablesen konnte. Aber dieses Mal war es nicht ihr privater Anschluss, sondern die betriebliche vom Polizeirevier. Aber erstens war Sie ihm wirklich keine zweite Nacht wert und zweitens stand ihm der Sinn nach den Aufnahmen, die er vom letzten Opfer gesehen hatte, nicht der Sinn nach weiblicher Nähe. Er war sich dadurch schon selbst unheimlich, denn normal wurde das Bett bei Ihm frauentechnisch seit Monaten nicht kalt. Trotzdem ließ er es klingeln, biss noch einmal ein das Blutwurstbrötchen und berief sich darauf, dass man mit vollem Mund nicht sprechen soll. Nachdem das Handy 15-mal vibriert hatte, gab Simone auf.
Nicht einmal 2 Sekunden später klingelte Peters Handy. Simone war völlig außer sich, denn erstens fühlte sie sich von Gregor schlecht behandelt und zweitens musste Sie dringende Informationen loswerden. Während die beiden Ermittler gemütlich beim Frühstück saßen, spielte die Presse draußen verrückt und nicht nur die, sondern auch die sozialen Netzwerke.
Irgendein Vollpfosten hatte Tatort-Videos, die eigentlich nur der Täter haben konnte auf die bekannten Videoplattformen, von wo aus Sie tausendfach weitergeleitet wurden. Die Techniker der Polizei waren auf Hochtouren dabei, den Verantwortlichen zu finden, verfolgten sogar schon eine heiße Spur. Peter und Gregor konnten es nicht fassen, denn Sie standen kurz davor, einen Fall vor Ihrer Nase von anderen weggelöst zu „bekommen“. Beiden war der Appetit vergangen und so fuhren Sie ohne Umwege ins Präsidium, denn wenn jetzt noch das LKA übernahm, waren sie erledigt.
TEIL 6
Der Drang von Peter, den Fall zu lösen, war so groß, wie es bis jetzt eigentlich nur der Drang von Gregor war, ein weiteres Mädel ins Bett zu bekommen. Hatten Sie etwas übersehen, waren Sie etwa zu blauäugig an die Ermittlungen gegangen? Peter kam es so vor, als wäre die Lösung direkt vor seinen Augen gewesen. Er ging die ganzen Befragungen noch einmal durch und konzentrierte sich auf die Orte, an denen Sie stattfanden. Das klingelnde Handy riss ihn aus seiner Konzentration. Er war mit Gregor mal wieder im Büdchen, in dem beide jetzt ihren Kräuterhaushalt auftankten, um den Kopf wieder klar zu bekommen. Es war mal wieder Simone, die dieses Mal direkt ihn anrief und ihm die Nachricht übermittelte, dass Sie den Veröffentlicher der Videos ausfindig gemacht hatten und er sich schon im Verhörraum befand.
Siggi Wehmke, der 16-jährige Verdächtige, der durch die Experten aus dem Bereich Onlinekriminalität in kürzester Zeit als Urheber des Online-Userkontos „Siewar18wirwaren18“ ermittelt wurde, saß weinend auf dem Stuhl im Verhörraum. Was hatte er da bloß wieder angestellt. Er hatte doch nur die DVDs gefunden und eingepackt. Die VHS-Kassetten und den ganzen Kram hatte er noch liegen lassen. Aber wenn er bedachte, wie verstört er alleine bei der Ansicht der DVDs war, wollte er nicht wirklich wissen, was auf den anderen Datenträgern noch war. Und weil er es nicht mehr aushielt, diese Sachen für sich zu behalten, hatte er es mit der Welt teilen wollen. Es war kein Voyeurismus und auch keine Wichtigtuerei, sondern eher ein Hilferuf, ihm dabei zu helfen, die gerade gesehenen Bilder zu verarbeiten.
Der Täter hatte in allen Videos eine Bugs Bunny Maske auf und trug einen Kapuzenpullover, bei dem man die Kapuze noch mit einem Band zusammenziehen und somit näher am Gesicht befestigen konnte.
Keiner sollte wahrscheinlich auch nur seine Hautfarbe erkennen, daher trug er sicherlich auch unter den Latex-Handschuhen noch schwarze Lederhandschuhe. Auf den Bildern war nicht zu sehen, wie er die Opfer mit einem Blasrohrpfeil bewusstlos machte, wie die Gerichtsmedizin ermittelt hatte, denn die Filme starteten erst, als die Prostituierten bereits reglos im Bett lagen. Aber dann war die gesamte Wucht und Intensität der Taten zu spüren, das Blut spritzte und der Täter schien komplett im Wahn zu sein. Allerdings war er nach der wüsten und einseitigen Keilerei trotzdem bereits so routiniert, dass man meinen konnte, er hätte jahrelange Erfahrung bei dem, was er dort tat. Auch das Auflegen der Tabakblätter machte er in einer solchen Seelenruhe, dass es Peter und Gregor sichtlich erschaudern ließ.
Aber konnte ein 16-jähriger für diese Taten verantwortlich sein? Ein so junger Menschen vielleicht schon, aber nicht dieser Schluck Wasser in der Kurve, der dort immer weiter in den Verhörstuhl versank. Als sich dann Siggis Anwalt Gert Pargraff doch mal in der Lage sah, seinem Mandanten beizuwohnen, verzogen sich die beiden erst einmal in den Vorraum, um die weitere Vorgehensweise zu besprechen. Wie sich nach Ihrer Rückkehr herausstellte, hätte Wehmke zumindest für den letzten Mord ein Alibi, war er doch bei der Europameisterschaft im Cornhole (Einzel, Doppel und Mixed) in Skopje und hatte dort nach dem enttäuschenden Aus in der Vorrunde im Einzel und Doppel, den 2. PLATZ im Mixed gemacht. Auch teilte Siggi, der laut Ausweispapieren erst vor 2 Monaten mit seinen Eltern in die Nähe gezogen war, den Polizisten mit, dass er die Filme bei der Erkundung der Gegend gefunden habe. Wo genau, sei ihm zwar entfallen, aber er habe ein Bild gemacht, das er den Beamten gerne zur Verfügung stellte. Peter war sich nicht sicher, ob er mit der Deutung richtig lag, aber er hatte einen Verdacht, der ihn dazu brachte, alle verfügbaren Einheiten an den Ort zu beordern, den er zu erkennen vermutete. Es war diese Mauer… Sie waren ganz nah an der Lösung des Falls.
TEIL 7
Die Fahrt zum mutmaßlichen Täter war 10 Kilometer weit, aber da Peter und Gregor so aufgewühlt waren, nahmen sie auf der Rückbank Platz und überließen Freddy Kolschnick das Steuer. Freddy war Teil der neuen Generation Polizeibeamter, 24 Jahre alt, blonde Surfermähne und leider hochgradig spielsüchtig. Aber durch sein ADHS und seine Vorliebe für Konsolenspiele war er auch der Schnellste am Gaspedal und der Langsamste auf der Bremse. Er hatte schon 3 Polizeiwagen zu Schrott gefahren, aber auch die höchste Quote an Zugriffen bei illegalen Autorennen, was ihm in der Raserszene nicht gerade neue Freundschaften einbrachte. Es war eher so, dass er die Bedrohungen als Ansporn sah, diese ganze Szene zu sprengen. Mehrmals hatten Sie ihm die Reifen seines Privatwagens zerstochen und auch Schimpfworte und unflätige Beleidigungen an die Wand seines Wohnhauses gesprüht, was Freddy aber nur mit einem Schulterzucken abgetan hatte.
Wenn man die beiden auf der Rückbank hätte sehen können, hätte man gemerkt, dass sie in diesem Moment das gleiche empfanden. Peter war von sich enttäuscht. Er hatte die Lösung vor Augen, als er den Hausbesuch machte. Es war so eindeutig und er hätte es wissen müssen. Die vielen Dienstjahre nagten an Ihm, denn diese vielen Misserfolge hatten ihn fast in eine Depression gedrückt. Wäre da nicht sein Kleingarten gewesen, in dem er mittlerweile ca. 80 Tomatensorten züchtete, hätte er diese ganze Zeit nicht überstanden und sich stattdessen sicherlich mit der Dienstwaffe ein Loch in den Kopf gezaubert. Aber die Sauerei, die dadurch entstanden wäre, wollte er seiner Frau Yvonne nicht antun. Sie war eine gute Frau gewesen und er würde nach diesem Fall ihrem Rat folgen. Er würde den Dienst quittieren und sich mit Ihr noch ein paar schöne Jahre machen. Er würde es Gregor gleich sagen und sich auch nicht umstimmen lassen.
Auch Gregor war von sich zutiefst enttäuscht, noch mehr als es Peter war. Er dachte er sei seinem Partner mit seiner Spürnase überlegen und jetzt das. Nein, das war zu viel für Ihn und es reichte. Er hatte sich fest vorgenommen, nicht im Dienst zu sterben, sondern unter oder auf einer schönen und jungen Frau. Und deshalb würde er seine Polizeimarke an den Nagel hängen und mit seiner Frührente nach Thailand auswandern. Dort könnte mit seinem Geld bumsfidel bis zum Lebensende die Nähe junger Frauen genießen und sich mit ihnen „sportlich“ betätigen. Vielleicht fand sich auch ein TV-Sender, der ihn für eines seiner Auswandererformate engagierte, damit er sein Geld noch etwas aufbessern konnte. Es wäre zwar schwer, das alles Peter zu erklären, aber er hatte seinen Entschluss getroffen. Bei nächster Gelegenheit würde er es seinem Kollegen sagen.
Als Kolschnick die letzten 500 Meter bis zum Zielort in Angriff nahm und mit 120 Sachen über eine rote Ampel preschte, trafen sich die Blicke von Peter und Gregor. Ohne ein Wort zu sagen, nickten beide und durch die jahrelange Zusammenarbeit wussten beide irgendwie, dass es das jetzt war. Sie hatten verschiedene Lebensinhalte, aber sie waren wohl trotzdem aus dem gleichen Holz geschnitzt. Die Frage war jetzt natürlich, welches Szenario sie erwartete. Hatte der Täter sich selbst gerichtet, war er sogar auf der Flucht? Was war sein Motiv? Hatte er noch mehr auf dem Kerbholz? Fragen über Fragen, auf die beim nächsten Fall bereits ein anderer eine Antwort finden musste. Als sie in Sichtweite des Hauses waren, wussten Sie direkt, dass Sie Recht hatten, denn auf dem Bürgersteig erblickten Sie ein Stapel übrig gebliebener Video- und Tonkassetten, die wohl niemanden im Hightechzeitalter interessierte und eine offene Haustür… Der Schlüssel steckte… Kolschnick bremste abrupt. Sie waren dank seiner Fahrweise vor allen anderen da, somit konnte Sie den Fall dieses Mal vielleicht selbst klären und sich einen guten Abgang verschaffen.
TEIL 8
Jetzt reichte es Ute. Was für ein mieser Film, der einem da an einem Sonntagabend aufgetischt wurde und erst der Titel: Der Wrapper. Hartmut wollte den unbedingt sehen, da es eine Buchverfilmung eines vielversprechenden Nachwuchs-Drehbuchautors war, der aber nichts hielt. Hartmut war sowieso schon nach 20 Minuten schnarchend auf der Couch eingeschlafen, er hatte sich ja auch wieder seine 6 Hopfenextraktgranaten in den Kopf gedrückt. Hauptsache der Film lief und nicht der Heimatfilm, der Ute interessiert hätte. Morde über Morde in mittlerweile 80 Minuten obskurer Handlung und wer konnte nachher wieder nicht schlafen: SIE.
Sie schenkte sich die letzten 20 Minuten und schaltete den Fernseher aus. Ihr Mann drehte sich grunzend um und schlief, den Kopf vom TV-Geräte abgewandt, friedlich weiter. „Hier wirst du jetzt die Nacht verbringen und morgen den ganzen Tag Nackenschmerzen haben von der Couch. Das ist die gerechte Strafe für so einen Dreck im Fernsehen, mein Lieber!“ flüsterte Ute leise, trank ihren Prosecco aus und ging schlafen.
Monate später hatte Ute ein Deja-Vu. Denn beim deutschen Fernsehpreis holte sich der Film in 5 Kategorien den Deutschen Filmpreis. Neben Bester Fernsehfilm, Bester Schnitt, Beste Ausstattung und Beste Regie bekam der Film auch noch die Auszeichnung im Bereich Bestes Buch. Hartmut konnte sich das Lächeln nicht verkneifen, was Utes Laune nicht verbesserte. Er hatte sich den Film mittlerweile komplett angesehen und Ute dann auch noch das spektakuläre Ende erzählt, was für eine weitere schlaflose Nacht gesorgt hatte.