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Der Greifer

Siegfried Krallke Senior, ein Pionier im Jahrmarktbusiness, gründete 1987 das Greifautomaten-Imperium „See-See-Catch“. Nach anfangs 2 Automaten hat er es über all die Jahre auf die stattliche Zahl von 500 geschafft und seine Firma so zum absoluten Marktführer in Deutschland gemacht. Das K in Kirmes steht hierzulande für Krallke und das K in Krallke für Kirmes. Das war harte Arbeit, die keine Zeit für Hobbys oder Urlaub ließ. Aus diesem Grund zog er sich im Jahr 2020 aus dem operativen Geschäft zurück und erfüllte sich mit dem Erwerb eines Jaguars einen lange gehegten Traum. Natürlich musste er da etwas Geld investieren, aber dann hatte er einen tollen Außenbereich und das Tier genug Auslauf, um auch die artgerechte Haltung zu gewährleisten.

Enttäuscht musste er hinnehmen, dass sein Sohn Siegfried Junior, seines Zeichens erfolgreicher Börsenmakler in London, kein Interesse am Unternehmen zeigte. Stattdessen musste Krallke Senior den kaufmännischen Staffelstab an seinen zweitgeborenen Sohn Ludger weitergeben. Das war bei dessen bisheriger Vita eine bittere Pille, die Daddy da zu schlucken hatte. Der Junior hatte zwar Abitur aufzuweisen (seit den 2010ern reicht dafür ja eine dreifache Inselbegabung) und entschied sich dann, als Dauerstudent gnadenlos alles wegzustudieren, was keinen Numerus Clausus erfordert, da war er nicht wählerisch. Einmal versuchte er es mit ehrlicher Arbeit, war für 2 Wochen bei Hähnchengrill Mamulla als Schenkelklopfer angestellt, scheiterte aber kläglich und hatte ab dem Tag nur ein Ziel: Arbeit so gut ignorieren, dass man glaubt, Sie wäre ein Baumarktkunde.

Als ihm das auf Dauer zu langweilig war, machte er schließlich ohne Wissen seines Vaters, der ihn immer noch auf der Uni wähnte, in Import/Escort. Das Geschäft lief nicht gerade gut, denn er ließ seine Pferdchen zwar laufen, fütterte sie aber nicht. Auf gut Deutsch gesagt sahen sie kein Geld, da Ludger sehr geizig war und bei Feiern sogar das Salz von den Brezeln kratzte, damit der Besuch keinen übermäßigen Durst bekam. Außerdem war er wegen der 7 Milchzahn-Okapis, die sich hauptsächlich von getrockneten Safranblüten ernähren, sowieso immer knapp bei Kasse. Die Tiere sind Überbleibsel seiner Ehe mit Ehefrau Sandra. Die Holde ist unbekannt verzogenen, seitdem sie vor 6 Monaten mit einem polnischen Achterbahn-Sicherheitsbügel-Kontrolleur durchgebrannt war. Aber Ludger hatte ganz andere Probleme, denn durch seine schlechte Zahlungsmoral saß ihm schon die osteuropäische Mafia im Nacken.

Man könnte sagen, er hatte sich zu oft an der Frischfleischtheke bedient, ohne zu zahlen. Da kam ihm Vaters Angebot ganz recht, denn damit war schon mal eine beträchtliche und sichere Monatseinnahme garantiert. Das blieb seinem Geschäftspartner Bronko nicht verborgen, der direkt seinen Zwillingbruder Slevan einweihte. Die Brüder hatten eine solide Arbeitsteilung, Bronko machte in Betörung (Frauen) und Sleva in Betäubung (Drogen). Mit Branko konnte man noch diskutieren, denn er war sachlich, beherrscht und zarter besaitet. Bei Problemen las er eine Stunde Schopenhauer, um sich zu beruhigen. Bei schwierigen Fällen reagierte er sich früher ab, indem er einfach mit der Kettensäge eine Eiche in seinem Garten flachgelegt und dann zur Beruhigung die Jahresringe gezählt, was aber irgendwann in Ermangelung weiterer Bäume nicht mehr funktionierte. Seitdem kappte er bei jedem Stressmoment den am schönsten blühenden Rosenstrauch 3-5 cm über der Erde und warf ihn lieblos und ohne einen finalen Blick auf den Komposthaufen.

Slevan hingegen war sehr impulsiv, affektgesteuert und hatte eine dauergeschwollene Halsschlagader. Einmal war er im Halbdunkel auf einen Klemmbaustein seines Sohnes getreten und schon landete ein säumiger Geschäftspartner mit Betonschuhen im Rhein bei Duisburg. Von seinem sarkastischen Humor konnten sich die Ermittler, die den Toten aus dem Wasser zogen, beim Blick auf dessen Fußbekleidung überzeugen. Die hatte nämlich jeweils die Form eines 8er (4 lang, 2 breit) Klemmbaustein, links rot lackiert und rechts blau und etwa in Größe 65, also weit über originalgetreu hinaus. Nachweisen konnte man ihm eine Beteiligung nicht, schrieb es ihm aber in Gaunerkreisen zu und zollte ihm Respekt.

Mit diesem Wissen erarbeitete Ludger mit Slevan einen Businessplan, bei dem er angstgetrieben lieber keine Änderungen vorschlug. Der Plan sah vor, dass Ludger eine bestimmte Anzahl Stofftiere mit Drogen füllte und die Technik in 30% der Automaten so manipulierte, dass die Greifarme nur griffen, wenn man erstens statt Eurostücken einen speziellen, bei Siegfried erworbenen Chip und zweitens die Joystick-Kombination links-rechts-links-links-vorne-hinten-hinten-hinten-links-rechts nutzte. Eine todsichere Sache für Siegfried und die Konsumenten, die zwischen Haschisch, Ecstasy und Kokain wählen konnten.

Kokain – Blauer Chip – Teddy

Haschisch – Grüner Chip – Plüschbanane

Ecstasy – Weißer Chip – Schielende Robbe

Alles ging gut, bis zur Verkettung unglücklicher Umstände auf dem Schützenfest in Willebadessen. Von Ludger unbemerkt, traf ein Querschläger von Walter Bendix, dem 7-fachen Schützenkönigs, der beim Schuss durch den Biss einer Kriebelmücke in die linke Kniekehle kurz zusammenzuckte, die Steuerelektronik des manipulierten Greifbereichs und setzte dadurch den die Automaten auf Werkseinstellung zurück. Zu diesem Zeitpunkt bekam der kleine Rigobert-Sören einen Tobsuchtanfalls, warf sein Second-Hand-Bangkirai-Massivholz-Lauflernrad zu Boden, lief zum Greifautomaten, rappelte am Joystick, löste die Greifautomatik aus, nahm den Teddy aus dem Fach und riss ihm den Kopf ab. Das Kokain wirbelte mehlstaubartig durch die Luft und kam auf den „kleinen Mann“ hernieder. Das bedeutete für die Eltern des kleinen Rigobert-Sören eine schlaflose Nacht, da ihr Sohn, angepeitscht vom Kokainkonsum, die halbe Nacht durch den Garten rannte und dabei laut Berechnungen des Vaters die zweifache Marathon-Distanz zurücklegte.

Das Unternehmen wurde mit dem sofortigen Ausschluss vom Schützenfest und allen Kirmes- und Jahrmarktveranstaltungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz belegt. Ludger hatte sich für die Festnahme durch die örtliche Polizei qualifiziert, wobei es für ihn auf jeden Fall die bessere Alternative war, als seinem Vater in die Finger zu geraten, der sich nun zwischen den Trümmern seiner Lebensleistung sah. Mit einem Besuch im Gefängnis musste Ludger wohl in den nächsten 10 Jahren nicht rechnen. Er konnte schon froh sein, dass sein Vater Tierfreund war und nicht aus Rache begann, die Milchzahn-Okapis nach und nach an den Jaguar zu verfüttern.

Da Branko und Slevan wussten, dass ihnen Gefängnisbekleidung nicht stand, verwischten Sie alle Spuren und setzten sich nach Thailand ab. Obwohl die beiden finanziell mehr als ausgesorgt hatten, gründete Branko dort den Pflegedienst der besonderen Art für deutsche Single-Auswanderer namens „Happyend“. Somit war er quasi weiter in seinem Metier und hatte auch eine Aufgabe. Da auf Drogenhandel dort die Todesstrafe stand und Slevan an seinem Leben hing, eröffnete er lieber einen Bubblewaffelstand, bei dem es die Waffeln nur mit Puderzucker gab. Manchmal macht er noch eine Extraportion Puderzucker drauf, dann sehen die Kunden aus wie zugekokste Eichhörnchen. Somit hatte er wenigstens ein kleines Andenken an sein altes Leben, was ihm ein Lächeln ins Gesicht zauberte.

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